1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
sicherlich getan! Sollte man mich enttarnen, würde ich wohl eher am nächstbesten Laternenmast baumeln, als in Ketten nach Paris gebracht zu werden. Vielleicht würde man mich auch erst foltern, wie es Ravaillac im Augenblick sicherlich widerfährt, wenn er nicht schon daran gestorben ist.
Ich blickte zu Monsieur Dariole, der gelassen Seetang beiseite trat, der im Sturm der letzten Nacht an den Strand gespült worden war. Überall waren Meerwassertümpel zu sehen; dieser unsichere Untergrund war ideal, um einen Mann im Kampf hineinzutreiben.
Es wird kein Duell geben!
Jeder Mann hat seine Qualitäten. So sehr ich Dariole auch hasste, das musste ich auch ihm zugestehen. Dieser Junge würde vielleicht ein neuer Grillon werden, einer der berühmtesten Duellanten, wenn ich ihn älter werden ließ, oder vielleicht ein neuer Marschall von Frankreich und genauso verschlagen wie jene Männer oftmals sind. Höhnisch dachte ich: Vielleicht würde gar ein Alexander oder Cäsar aus ihm werden! Und all dieses Potential würde hier an diesem Morgen sterben. Machte es da noch etwas aus, ob er durch eine Kugel im Kopf oder durch eine Klinge starb?
Wenn ich ihn erschieße, werde ich ihn aber nicht geschlagen haben, dachte ich, während ich die Stute weiter über die rutschigen Felsen und auf den von der Sonne getrockneten Strand führte. Ich hielt nach einem Basaltbrocken Ausschau, an dem ich das Pferd hätte festmachen können, sah aber keinen.
Bisher hatten wir noch nie ohne Unterbrechung auf einem Untergrund gefochten, der keinen von uns begünstigte.
Es ist einfach nur feige, ihn auf diese Art zu töten.
Ich fesselte dem Pferd die Beine. Der Wind wehte steif vom Meer herein und füllte die Luft mit Gischt. Über uns schrien die Vögel.
Monsieur Dariole, in seinem zerknitterten Leinenwams und der inzwischen fleckigen venezianischen Hose, ging auf und ab. Von Zeit zu Zeit trat er in den Sand, um dessen Festigkeit zu testen. Es war ein guter Boden, um die Fersen hineinzubohren. Dariole trug seine Waffen noch immer in den Scheiden, doch seine Beine nahmen instinktiv bereits Kampfhaltung ein: einen Fuß ein Stück nach vorn, den anderen etwas zur Seite. So war der Körper weitgehend im Gleichgewicht, sodass er in jede Richtung reagieren konnte, ohne zunächst das Gewicht zu verlagern.
Er hätte Leute von der Straße hereingerufen, um meine Demütigung zu bezeugen.
»Messire«, rief ich zu ihm hinüber, hob die Hand und ging dabei hinter die Stute. Ich sah, wie er sich umdrehte.
»Habt Ihr Eure Meinung wieder geändert?« Er grinste und kam zu mir zurück. »Ich dachte, Ihr wolltet kämpfen, nicht davonflattern wie ein Huhn. Was ist los? Habt Ihr Euch vielleicht entschlossen, nicht länger wegzulaufen und Sully der Königin auszuliefern?«
Er weiß ganz genau, wo und wie er mich verletzen kann. Steif erwiderte ich: »Selbst wenn ich das tun wollte, würde sie mich nicht leben lassen.«
»Ah, aber Ihr seid Sullys Mann.« Er spie die letzten beiden Worte förmlich. Solche Provokationen kurz vor einem Kampf sind typisch für Kinder wie ihn. »Ich habe mich oft gefragt, Messire … Was genau macht Euch eigentlich zu seinem Hund?«
Es hatte nicht lange gedauert, bis ich gelernt hatte, dass Maximilien de Bethune, Duc de Sully, weit mehr war als ein träger Herzog aus der Gascogne und langweiliger Buchhalter. Als ich aufwuchs, wurde Frankreich von Kriegen heimgesucht. Jeder der Valoissöhne von Katharina di Medici folgte ihr nacheinander auf den Thron, einer wahnsinniger als der andere, und die Angehörigen der wahren Religion und der hugenottischen Lutheraner töteten einander glücklich zu Tausenden. Und inmitten dieser Bürgerkriege tauchte mit einem Mal Heinrich von Navarra auf, Vetter der Valois und Thronanwärter. Er bewegte sich über einen schmalen Grat, und Maximilien de Bethune, Baron Rosny, war stets an seiner Seite. Unbestechlich und ein wahres Finanzgenie regelte er den Haushalt Frankreichs mit derartigem Geschick, dass ihn der König vor vier Jahren zum Duc de Sully ernannte hatte, weil er dem verwüsteten Land neuen Reichtum beschert hatte.
Spöttisch erwiderte ich: »Ihr solltet besser fragen, warum der Duc de Sully jemanden wie Messire Rochefort in seinen Diensten duldet. Aber das ist keine Geschichte für die Ohren eines Kindes, Messire Junge.«
Die Hand auf dem Schwert trat Dariole auf mich zu. »Darüber würde ich mir nicht länger den Kopf zerbrechen, Rochefort. Schon bald wird das nur noch Geschichte
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