1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
ein, zwei Fuß über dem Sand befand. Dann zog ich seine Arme mit einem Ruck nach hinten, sodass Rippen und Bauch sich zusammenzogen.
Ich mag kein Wasser. Wie die meisten Menschen fürchte ich mich vor dem Ertrinken. Deshalb hatte ich auch nicht vergessen, wie Gabriel Santon einst einen unserer Soldaten mit einem Griff wie ein Ringer wieder zum Leben erweckt hatte, nachdem dieser in den Niederlanden volltrunken in einen Wassergraben gefallen war.
Aber Gabriel weiß natürlich, was er tut, dachte ich grimmig, während ich arbeitete. Und dieser Mann war verdammt lange im Wasser gewesen.
Ich erinnerte mich lebhaft an Gabriel Santon. Ich sah ihn in den Niederlanden, wie er mit der Pistole in der Hand jedem Todesdrohungen zubrüllte, der nicht in den Graben springen wollte, um den Mann herauszuholen – Gabriel selbst konnte nicht schwimmen. Und wo ist er jetzt? Ist er beim Herzog in der Bastille oder im Chatelet und wird befragt wie Ravaillac? Hat er genug Verstand besessen, um Paris zu verlassen?
»Rochefort, Ihr bringt ihn ja um!«
Dariole umklammerte meinen Arm. Seine fehlende Kraft, wenn er kein Schwert in der Hand hielt, verriet, dass er noch kein ganzer Mann war.
Der Leib in meinen Armen zuckte. Der Mann hob den Kopf, hustete und würgte. Wasser und Galle spritzten aus ihm heraus und auf meine Ärmel. Ich ließ ihn weitermachen, bis nur noch Luft herauskam. Dann ließ ich ihn mit dem Gesicht voran wieder in den Sand fallen.
»Ich habe Euch doch gesagt, dass er noch lebt!«, rief Dariole so freudig, als hätte er eine Partie bei Zaton gewonnen.
Ich bereute bereits, dass ich mir derart hatte rühren lassen, während ich die wieder aufgefüllte Branntweinflasche aus meiner Satteltasche holte und nach kurzem Überlegen auch mein zweites Wams. Ich half dem ›Dämon‹, sich aufzusetzen und einen Schluck zu trinken. Dann legte ich ihm das Wams um die breiten Schultern. Der Mann war hässlich, vollkommen missgestaltet. Um den Bauch hatte er etwas geschlungen, was ich jetzt als Seidenkordel erkannte …
Dariole kniete im Sand, stützte den noch immer halb in Seetang vergrabenen Mann und plapperte irgendetwas, doch ich hörte nicht zu. In jedem Fall sagte er nichts zu der Pistole, als ich sie mir wieder in den Gürtel steckte.
»Messire, wir müssen den Dämon in eine Unterkunft bringen!«
Wider besseren Wissens ließ ich mich auf diesen Unsinn ein. »Er ist kein Dämon.«
»Doch, das ist er. Schaut Euch doch nur einmal seine Augen an!«
Trotz meines Wamses zitterte der stämmige Mann heftig ob des kalten Windes vom Meer. Sein plattes Gesicht war von gelbgrauer Farbe. Er war krank – oder aber er war mit dieser Hautfarbe geboren worden. Benommen schaute er sich um, und ich hockte mich nieder, packte sein Kinn und musterte sein Gesicht.
Seine Augen unter den ovalen Lidern waren schwarz wie Teer, und ihre Form … Keine Hasenscharte, kein Busen an einem männlichen Leib; eine gewöhnliche Missgeburt ist das nicht.
»Könnt Ihr mich verstehen?« Ich wiederholte meine Frage in den drei französischen Dialekten, die ich kannte, und dann noch einmal auf Baskisch, das ich auch ein wenig beherrschte. Vielleicht war er ja irgendein Idiot aus einer Familie hier in der Gegend.
Monsieur Dariole hätte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollen, dachte ich in amüsierter Verzweiflung angesichts dieser neuerlichen Komplikation in meinem Leben.
Der ›Dämon‹ sprach. Geräusche kamen mit derartiger Aggressivität aus seinem Mund, dass ich froh war, noch immer die Pistole bei mir zu haben.
»Wer seid Ihr?«, überraschte mich Dariole. Er sprach die langue d'oc . Nicht der Funke von Verständnis war auf dem missgestalteten Gesicht zu erkennen. »Welche Sprache sprechen Dämonen, Messire Rochefort?«
»Spanisch?«, murmelte ich spöttisch – Spanien stellte die größte Bedrohung für den französischen Thron dar. Und doch ist das ein Mensch, und ich nehme an, dass er nicht nur missgestaltet, sondern auch ein Fremder ist.
Ich begrüßte ihn in allen mir bekannten Sprachen. Ein Mann meiner Profession schnappt rasch die unterschiedlichsten Grußformeln auf. Er zeigte keinerlei Reaktion – weder auf Französisch, Deutsch, Italienisch, ja noch nicht einmal auf Arabisch.
»Gott schenke Euch einen schönen Tag.« Ich sprach Spanisch. Zu meinem Entsetzen zeigte sich ein Funken von Interesse in seinen Augen. »Mon Dieu ! Spanisch ist dieSprache des Teufels!«
Einer Eingebung folgend sprach ich ihn auch
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