1620 - Vorleser des Teufels
anzuhören.
Nach wie vor war es in der Wohnung ruhig. Nichts wies auf eine Gefahr hin. Dennoch fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Möglicherweise lag es an der Luft. Das Fenster öffnete ich trotzdem nicht. Der Geräuschpegel hätte mich beim Abhören der CD gestört.
In den ersten Sekunden hörte ich nichts. Dann ein Geräusch, das sich mehrere Male wiederholte. Zuerst fand ich nicht heraus, um was es sich handelte. Schließlich kam mir der Gedanke, dass es sich um Atemgeräusche handelte, und das nicht nur von einem Menschen, sondern von mehreren.
Sehr schnell wurden die Geräusche von einer Stimme überdeckt. Ein Mann fing an zu sprechen. Schon nach den ersten Worten schössen mir zwei Dinge durch den Kopf.
Zum einen hatte der Sprecher eine wunderbare Stimme, die wirklich alles an Gefühlen beinhaltete, was man sich vorstellen konnte. Zum anderen verstand ich von dem, was da gesagt wurde, kein Wort. Nicht etwa, weil die Stimme zu leise gewesen wäre, sondern weil sie in einer mir fremden Sprache redete die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte.
Worte, die zu keiner mir bekannten Sprache passten und die mich irgendwie an eine Beschwörung erinnerten.
Die Stimme war so prägnant und intensiv, dass ich nur auf sie achtete und nicht auf die fremden Wortschöpfungen.
Wer schaffte es, mit einer derartig faszinierenden Stimme zu sprechen?
Ich kannte keinen, aber diese Stimme zog sogar mich - da war ich ehrlich - in ihren Bann.
Auf meiner Haut spürte ich ein Krabbeln. Dieser Klang ging mir durch und durch. Ich fühlte mich verführt, in den Bann gezogen und spürte, dass es bald nichts anderes mehr für mich gab als diese Stimme, die sich in einer mir fremden Sprache artikulierte.
Und genau das gefiel mir nicht. Ich wollte mich nicht von diesem Fremden in seinen Bann ziehen lassen, sodass ich über mein eigenes Ich nicht mehr bestimmen konnte. In der Stimme waren alle Emotionen, die man sich vorstellen konnte, enthalten. Liebe, Hass, Sehnsucht und Verzweiflung. Immer wieder wechselten diese akustischen Gegensätze einander ab.
Ich musste schon heftig den Kopf schütteln, um mich aus diesem Bann zu lösen. Mit einem Druck auf die Taste stellte ich das Gerät ab. Sofort empfing mich wieder die Stille in der Wohnung, wobei ich die Außengeräusche wie nebenbei wahrnahm.
Was war das für eine Aufnahme? Wer hatte gesprochen? Darüber grübelte ich nach, obwohl ich keine Idee für eine Lösung hatte. Aber diese CD musste für Rita Benson sehr wichtig gewesen sein.
Möglicherweise am allerwichtigsten, sonst hätte sie sie in den Ständer gestellt, wo sich auch die anderen befanden.
Hatten die Kollegen der Mordkommission die Scheibe so vorgefunden wie ich? Oder war jemand danach in dieser Wohnung gewesen und hatte sie sich angehört?
Eine Antwort wusste ich nicht, aber diese Stimme wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich musste immer daran denken. Kein Wort hatte ich davon verstanden, dennoch hatte darin etwas gesteckt, dem man sich nicht so leicht entziehen konnte.
Wenn ich näher und intensiver darüber nachdachte, kam ich immer mehr zu dem Schluss, dass es sich bei diesem Text um eine Beschwörung hätte handeln können. Das musste nicht so sein, aber das Gegenteil konnte mir auch niemand beweisen.
Wenn es denn so war, wer sollte dann beschworen werden?
Möglicherweise die Ratten?
Ein Lächeln huschte über meine Lippen, denn bei Ratten dachte ich mehr an eine Flöte, weil ich die Geschichte des Rattenfängers von Hameln im Kopf hatte.
Aber auch da konnte es Alternativen geben. Jedenfalls war ich mir sicher, dass diese CD für Rita Benson sehr wichtig gewesen sein musste. Für mich war sie das auch. Deshalb steckte ich sie ein.
Ich überlegte, wie ich vorgehen sollte. Die Wohnung verlassen oder noch mal eine Durchsuchung starten? Manchmal muss man pingelig sein, und so sah ich mich noch einmal um. Weit kam ich nicht, denn mein Handy summte seine leise Melodie, als ich gerade dabei war, eine der Schranktüren zu öffnen.
»Bitte…?«
»Hast du schon was entdeckt, John?«, wollte Purdy Prentiss wissen.
»Du bist doch in der Wohnung - oder?«
»Das bin ich.«
»Und?«
Ich erzählte ihr von der CD und hörte sie nicht eben vor Begeisterung jubeln.
»Das ist aber mager.«
»Mal abwarten. Diese CD enthält keine Musik. Es redet jemand in einer fremden Sprache. Wenn du Zeit hast, kannst du selbst mal zuhören.«
»Die habe ich. Es ist soeben Pause.«
»Sehr gut.« Ich legte die CD wieder ein
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