1647 - Der letzte Schlag
sie dem Recycler hätten übergeben mögen -, würde niemand nach ihr suchen. Es gab keinen Kommunikationsanschluß in der Kammer, nicht einmal einen Interkom-Empfänger.
Nadu nannte die Kammer ihren „Denkkasten". Hier hatte sie die Grundzüge der Theorie entwickelt, die sie jetzt der experimentellen Prüfung unterzog. Hier würde sie Tupar Huaynac empfangen, wenn er kam, um ihre Unterlagen einzusehen.
Der Gedanke, daß Tupar sie besuchen würde, erregte sie nicht mehr. Merkwürdig, wie rasch solche Dinge manchmal verflogen.
Sie vergewisserte sich, daß in der Kammer alles in Ordnung war und der Raum aufgeräumt aussah. Dann kehrte sie in ihre Wohnung zurück.
Eigentlich hatte Nadu vorgehabt, sich ein paar Stunden zu gönnen. Sie erinnerte sich nur mit Mühe daran, wann sie das letztemal geschlafen hatte. Aber es war eine eigenartige Unruhe in ihr. Sie spürte, daß sich in Kürze etwas Entscheidendes ereignen würde.
Sie versuchte, ihre Empfindungen zu analysieren. Kam ihre Aufregung womöglich von der unerwarteten Begegnung mit Tupar? Wahrscheinlich nicht, entschied sie. Es hatte wohl mehr damit zu tun, daß sie auf dem besten Wege war, eine Indikationsmethode zu entwickeln, mit der festgestellt werden konnte, ob beim Erlöschen der 5-D-Parese ein einfacher Flackereffekt vorlag oder ob die Tote Zone endgültig zusammengebrochen war.
Da sie ohnehin keinen Schlaf finden konnte, aktivierte sie den Computeranschluß, der zur Ausstattung ihres Quartiers gehörte, und begann, die Nachricht zu formulieren, die sie über Hyperfunk ausstrahlen würde, sobald die 5-D-Trägheit das nächstemal aussetzte. Der Text, den sie aufsetzte, beschrieb die Überlegungen, die sie angestellt hatte, bevor sie zu experimentieren begann. Er schilderte den Vorgang der Datenauswertung, ging ausführlich darauf ein, warum ausgerechnet die beiden Emissionslinien des Elements Natrium für Nachweiszwecke verwendet wurden, und beschrieb dann die Resultate der Datenanalyse.
Adressieren würde sie den Funkspruch erstens nach Arkon und zweitens nach Point Panot. An beiden Orten, das konnte sie sich gut vorstellen, waren Gruppen von Wissenschaftlern mit demselben Problem beschäftigt. Sie war daran interessiert, ihre Meinung zu hören.
Inzwischen sprang der Kalendersektor des Chronometers vom
30.
auf den 31. Juli allgemeiner Zeitrechnung. Im Stützpunkt Jimmerin gab es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht, zumal keinen solchen, der sich nach der Zeitrechnung Terras richtete. Hier schlief oder arbeitete jeder, wie er eingeteilt war.
Nadu hatte noch sechs Stunden Zeit, bis ihr nächster Dienstabschnitt begann.
Gegen zwei Uhr war sie mit der Abfassung ihre Berichtes fertig. Sie hatte ihn viermal überarbeitet und war jetzt endlich mit dem Format ebenso wie mit der Diktion zufrieden: Sie wollte vorsichtig sein. Immerhin war sie nur eine Wissenschaftlerin zweiten Grades.
Später bekam sie noch einmal Hunger. Das ging ihr oft so: Sie aß mehr, wenn sie aufgeregt war. Die Automatenküche, in einem kleinen Verschlag untergebracht, bereitete ihr einen kleinen Imbiß. Dazu trank sie einen Becher Wein. Das Getränk entspannte sie. Sie malte sich genußvoll aus, wie die Koryphäen des Planetaren Rates der Wissenschaften staunen würden, wenn sich herausstellte, daß die von einer bisher unbekannten Wissenschaftlerin zweiten Grades entwickelte Indikationsmethode tatsächlich funktionierte.
Sie beendete die Mahlzeit, beförderte das benützte Geschirr in den Recycler und legte sich nieder. Sie glaubte nicht daran, daß sie Ruhe finden würde. Aber wie's die Natur will: Ein paar Minuten später war sie fest eingeschlafen.
Sie schlief traumlos. Als das schrille Zirpen ihres privaten Alarmgebers sie weckte, zeigte das Chronometer 05.16 Uhr.
Gerade zweieinhalb Stunden waren ihr vergönnt gewesen.
Die Deckenbeleuchtung hatte sich selbsttätig aktiviert.
Verwirrt sah sich Nadu um. Es waren noch ein paar Stunden Zeit bis Dienstantritt. Warum war sie geweckt worden?
Dann sah sie das blinkende Warnlicht auf der Konsole des Computeranschlusses. Sie sprang auf. Hastig strich sie mit den Fingern über ein großflächiges Leuchtfeld. Über der Konsole entstand eine Bildfläche. Text materialisierte. Nadu las: ABRUPTE VERÄNDERUNG DES VERLAUFS DER NALINIEN UM 05.13.56 UHR ALLGEMEINER ZEIT
3.
Es gab Menschen, die das dritte Erlöschen der Toten Zone mit Skepsis zur Kenntnis nahmen. Wer sagte, daß die Hyperraum-Parese in drei oder vier
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