1647 - Engelstadt - Höllenstadt
tief im Wald versteckte. Sie musste in der Nähe sein.
»Bitte, melde dich doch…«
Pause. Sekundenlang tat sich nichts, bis sie erneut die Stimme hörte.
»Ich bin hier.«
»Wo denn?«
»Hier oben. Schräg über dir.«
Erst jetzt stellte Carlotta richtig fest, dass sie die Stimme aus der Höhe erreicht hatte. Sie legte den Kopf zurück und schaute in einen Baum hinein, der schon recht viel von seinem Laub verloren hatte.
Ein Vorteil für sie, denn so erkannte sie im Geäst dieses Baumes den Umriss einer menschlichen Gestalt, Ja, das war eine Frau, sogar eine sehr junge, wie sie meinte.
Sie hockte in der Mitte des Baumes und klammerte sich an zwei starken Ästen fest.
»Wer bist du?«, rief Carlotta leise.
Die Antwort bestand aus einer Frage. »Bist du allein?«
»Siehst du sonst jemanden?«
»Ganz allein?«
»Ja, das bin ich.«
Die letzte Antwort hatte der Fremden wohl ausgereicht.
Sie löste ihre Hände von den Ästen, drehte sich noch etwas zur Seite, rutschte ein Stück den Stamm entlang, sprang zu Boden und blieb dicht vor Carlotta stehen…
***
Die Szene war für beide überraschend. Keine hatte mit dem Erscheinen der anderen gerechnet. Dementsprechend sprachlos waren sie.
Sie tasteten sich mit Blicken ab. Und noch immer wurde kein Wort gesprochen. Aber ein Dritter hätte erkannt, dass es in den Augen der so unterschiedlichen Personen keinen Funken Misstrauen gab. Nur der Ausdruck des Staunens zeichnete sich darin ab.
Dann lächelte die Person, die auf den Boden gesprungen war.
»Ich vertraue dir«, sagte sie. »Ja, ich spüre, dass du nicht wie die meisten bistv Du bist einfach wunderbar.«
Carlotta staunte ein wenig über die Bemerkung. So weit hätte sie sich nicht aus dem Fenster gelehnt bei einer ihr unbekannten Person.
Sie hielt sich mit einer Antwort zurück und schaute sich die Person vom Kopf bis zu den Füßen an.
Im Gesicht fielen ihr zuerst die Augen auf. Große Pupillen von warmer brauner Farbe. Langes Haar wuchs auf dem Kopf. Jede Strähne schimmerte rotblond. Das Gesicht zeigte einen ängstlichen Ausdruck, der ihre Jugendlichkeit jedoch nicht überdecken konnte. Dieses Mädchen oder diese junge Frau konnte kaum achtzehn Jahre alt sein.
Die Züge hatten noch etwas Kindliches, und wenn sie Carlotta anschaute, dann sah es so aus, als würde sie nur staunen.
Noch lagen die Lippen aufeinander. Noch blieb der ernste Ausdruck im Gesicht bestehen, doch wenig später zeigte der Mund ein Lächeln, das echt wirkte und keine Spur von Falschheit aufwies.
»Wer bist du?«, fragte Carlotta leise, während sie überlegte, ob diese Person sie möglicherweise in der Luft gesehen haben könnte.
»Livia. Ich heiße Livia.«
»Aha. Ein schöner Name.«
»Weiß nicht. Und wie heißt du?«
»Carlotta.«
»Ah, der ist auch schön.« Das Vogelmädchen hätte zahlreiche Fragen stellen können. Das wollte sie nicht, und sie wunderte sich zunächst über die Kleidung der jungen Fremden.
Sie entsprach nicht den Normen eines Teenagers. Sie bestand aus einer sandfarbenen Hose und einer längeren Jacke, die von der Farbe her einen Tick heller war. Die Füße verschwanden in weichen Schuhen, die alles andere als stabil aussahen, um damit durch den Wald laufen zu können.
Livia schaute sich etwas unsicher um. Sie sah aus, als wollte sie reden, ohne die richtigen Worte finden zu können. Ihr Blick war etwas flattrig, und sie schien nicht so recht zu wissen, wie sie sich Carlotta gegenüber verhalten sollte.
Das Vogelmädchen wollte ihr eine Brücke bauen und fragte mit leiser Stimme: »Wer bist du?«
Livia schaute sich um, als hätte sie Angst, dass ihre Antwort gehört werden konnte. Dann sagte sie mit leiser Stimme und sah dabei auf die Hände mit der hellen Haut. »Ich bin anders.«
»Wie anders?«
»Ich habe Angst hier!«
Carlotta hütete sich davor, auch nur den Mund zu verziehen, obwohl sie eine Angst in dieser friedlichen Gegend nicht nachvollziehen konnte. Da gab es nichts, vor dem man sich fürchten musste.
»Und wovor hast du Angst?«
»Vor den Teufeln.«
Carlotta zuckte leicht zusammen. Mit einer derartigen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Sie musste jetzt selbst nach Worten suchen und sagte mit leiser Stimme: »Habe ich Teufel gehört?«
»Ja, hast du.«
»Und weiter?«
»Sie sind hinter mir her.«
Carlotta sagte zunächst nichts. Sie schaute Livia nur an und versuchte, in deren Gesicht zu lesen, um herauszufinden, ob die letzten Worte der Wahrheit entsprachen oder
Weitere Kostenlose Bücher