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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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verbesserte er. »Das ist ein Gebet für Kei'lun, den heiligen Berg. Die Menschen bitten darum, dass das Gute in ihm erhalten bleibt, und damit auch in ihnen.«
    Aruula wanderte weiter. »Bei uns bittet man eher um einen Sieg im Kampf! Oder für die Toten.« Ein Pilger rempelte sie an. Statt sich zu entschuldigen, blickte er hastig weg. Aruula runzelte die Stirn.
    »Es gibt keine Toten«, sagte Tandra Meeru.
    »Du redest wirr!« Aruula drehte sich flüchtig nach dem Pilger um. Er hatte einen Schal um den Kopf geschlungen, sah ansonsten aber aus wie alle anderen. Trotzdem war irgendwas an ihm… verkehrt.
    »Nein, tue ich nicht!«, widersprach Tandra Meeru. »Alles was lebt, wird im Sterben neu geboren.«
    Die Barbarin lachte. »Dann ist jedes Wild, das ich erlege, am nächsten Tag wieder da? Schön wär's!«
    »Ist es«, sagte Tandra Meeru fest, und Aruula bereute es plötzlich, dass sie sich dazu hatte überreden lassen, ihr Schwert abzulegen. Es befand sich im Inneren des Klosters, außer Sicht der Pilger und außer Reichweite. Aruula war nicht glücklich bei dem Gedanken, unbewaffnet neben einem Verrückten herzulaufen. Und Tandra Meeru musste verrückt sein, denn er fuhr fort: »Wir glauben, dass alles Lebende miteinander verbunden ist und niemand diesen Kreis je verlässt. Deshalb töten wir keine Tiere und ernten nur Früchte, nie die Pflanzen selbst. Wir achten jede Lebensform, denn wir wissen nicht, in welcher wir wiedergeboren werden.« Er zeigte auf das Gras. »Zum Beispiel könnte einer dieser Halme in seinem nächsten Leben der Herrscher von Ti'bai sein!«
    Die Barbarin blickte zu Boden. Ein Restpilz klebte an ihrer Sohle, und Aruula liefen kalte Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, Tandra Meeru wäre vielleicht doch kein Verrückter und sie hätte gerade Maddrax zertreten. Sie schüttelte sich unwillig. Maddrax war tot und kein Pilz! Und der einzige Weg, ihn zurückzuholen, war es, den brennenden Felsen zu finden.
    Vielleicht war sie ihrem Ziel ganz nahe…
    Als sie den Kopf hob, bemerkte sie erneut diesen Pilger, der sie angerempelt hatte. Er betete wie alle anderen, beobachtete dabei den Flug zweier Vögel – und mit einem Mal wusste Aruula, was an ihm verkehrt war. Sie griff nach Tandra Meerus Arm. »Sag mal, müssen sich alle Leute nach Osten drehen?«
    Ernickte. »Ja, dort ist der heilige Berg. Du kannst ihn von hier aus nicht sehen, er wird von der Klostermauer verdeckt. Aber wenn wir zu den Pilgern da vorn am Felsenrand gehen…«
    »Das tun wir!«, unterbrach ihn Aruula. »Und zwar sofort!«
    Tandra Meeru hatte seine Frage nach dem Warum noch nicht formuliert, da zwängte sich die Barbarin schon energisch durch die Reihen der Betenden – auf den einzigen Pilger zu, der nicht nach Osten blickte. Er sah sie kommen, drehte sich um und floh.
    »Aus dem Weg!«, rief Aruula und spurtete los. Der Mann hatte seinen Schal verloren. Ein schwarzer Haarknoten wippte an seinem Hinterkopf.
    ***
    Dezember 2521
    Truppen standen vor Shen Chi – aufgebrachte, gewaltbereite Bauern aus den Provinzen. Der Himmlische Hüter hatte zum dritten Mal in Folge die Steuern erhöht.
    Seine stetig wachsende Leibgarde war inzwischen mit Freibriefen ausgestattet und zog seit dem Sommer plündernd durchs Land. Aber jetzt hatten sich auch noch Dämonen in Cinna eingenistet!
    Das Maß war voll.
    Der Kaiser musste handeln.
    »Warum werfen wir diese Bauern nicht einfach dem Drachen vor?«, knurrte Ki Ling missmutig, während er sich in seine Gewänder zwängte. Einer der vielen Pings half ihm dabei. Er war Kaiserlicher Berater und eigentlich mit anderen Aufgaben betraut, doch in Krisenzeiten durfte man nicht pingelig sein.
    »Wenn wir sie töten, fallen im nächsten Jahr die Steuern aus, Majestät«, sagte Ping.
    »Steuern im nächsten Jahr?« Ki Ling schritt durch den Thronsaal zu einem der Fenster. »Es ist gar nicht sicher, dass es noch ein nächstes Jahr geben wird!«
    Er blickte im Schutz der schweren Fellvorhänge durch einen Spalt ins Freie. Es war Winter in der Stadt der Hundert Tore, eisig kalt und grau. Vor zwei Monaten waren alle Donner des Himmels in den fernen Kratersee gefallen, hatten die Erde erschüttert und Dämonen aus ihren Schlupflöchern geholt. Seitdem schneite es schmutzige Flocken. Der Himmel wurde selbst am Mittag nicht mehr hell, und die nächtlichen Windgeister heulten so unheimlich wie nie zuvor.
    Ki Ling trat erschauernd in den Raum zurück. Ich bin ein armer Mann!, dachte er, und sein

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