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165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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bringen ihm bei, diese Macht zu kontrollieren.«
    »Fangt gleich damit an! Um die Schüsseln kann sich ein anderer kümmern.« Aruula zerrte ein schwarzes Tuch aus der Tasche. Sie wies auf die Fenster zur Ebene. »Da unten sind üble Gestalten unterwegs! Sie haben Yinjos Familie getötet, und ich hatte nicht das Gefühl, es wäre ihr erster Überfall.«
    »Darf ich?« Tandra Meeru hielt die Hand auf. Aruula gab ihm das Tuch und schilderte den brutalen Angriff der Schwarzvermummten. Sie beobachtete dabei, wie Yinjo die Schüsseln aufsammelte – einzeln, mit mürrischem Gesicht.
    Er tat ihr Leid.
    Tandra Meeru hob das Tuch in die Höhe. »Tschinnaks!«, rief er und zeigte den rotgelb gestickten Drachen den anderen Mönchen. Sie verstummten.
    »Ihr kennt die Kerle?«, fragte Aruula erstaunt.
    »Ja.« Tandra Meeru nickte. »Es sind Cinnesen. Eine ganze Horde. Sie kamen im Frühjahr ins Land.«
    Aruula sah ihn verständnislos an. »Warum überfallen sie arme Leute wie Yinjos Familie?«
    Tandra Meeru faltete das Tuch zusammen, strich es glatt und hielt es einen Moment fest. Dann gab er es Aruula zurück und sagte: »Diesen Stoff gibt es nur in Ti'bai. Nomaden bringen ihn über die Berge auf den Markt nach Ne'pa und tauschen ihn dort gegen Nahrung für unser Volk ein. Die Tschinnaks sind wie verrückt hinter ihm her. Ich nehme an, sie haben die Bajaaten für Händler gehalten.«
    »Aber wenn sie nur den Stoff wollen, warum töten sie dann?«, fragte Aruula.
    »Manche Menschen brauchen keinen Grund. Sie tun es einfach.« Tandra Meeru seufzte. »Es hat seit dem Frühjahr zahllose Überfälle gegeben. Viele unserer Nomaden wurden getötet, und auch einige Botenmönche. Die Tschinnaks müssen inzwischen schon ein ganzes Lager voll Stoff haben. Ich weiß nicht, was sie damit wollen.«
    »Ich schon!« Aruula ließ das Tuch über ihre Hand gleiten.
    Es war kühl und weich und floss herunter wie Wasser. Sie sagte: »Ich wusste doch, dass mir etwas bekannt vorkommt! Erst dachte ich, es wäre der Drache – aber es ist der Stoff! Ich habe ihn schon in Induu gesehen. Dort wird er nur mit Gold gehandelt.« Die Barbarin hob den Kopf. »Sanshi! Die Tschinnaks machen Jagd darauf, weil es ihnen großen Reichtum einbringt.«
    ***
    Es war Nachmittag, als Tandra Meeru die Führung durch das Kloster beendete und mit Aruula ins Freie trat.
    Der Barbarin schmerzte der Kopf von den vielen Eindrücken, und die Füße von den vielen Treppen, die sich hinter den Mauern von Shi'gana verbargen. Die Mönche hatten den uralten Schachtelbau nahezu wetterfest restauriert. Es waren vereinzelte Gegenstände aus dem 21.
    Jahrhundert erhalten geblieben: Gebetsmühlen, Feueranzünder, ein Gaskocher und eine Teekanne aus Porzellan. Lauter Dinge, die fremdartig aussahen – und wundersam.
    Auch der große Vorplatz, in den die Treppe mündete, vermittelte diesen Eindruck. Aruula schlenderte mit ihrem Begleiter durch einen lichten Wald aus Steinsäulen, die reich verziert waren und Mauerbögen trugen. Sie dienten keinem erkennbaren Zweck, außer als Rastplatz für einige Vögel.
    Aruula schritt unter ihnen her auf die halbhohe Mauer zu, die den Platz umrahmte. Man konnte von hier die ganze Ebene überblicken mit ihren Hügeln, den Bergen und dem Fluss. Irgendwo in der Ferne stand eine Ruine. Viel weiter links war ein winziges Dorf.
    Aruula legte ihre Hände auf die Mauer. Sie war noch warm vom Tag. Die sinkende Sonne streichelte der Barbarin übers Haar; sie schloss ihre Augen und hob den Kopf. Der Frühlingswind und die goldenen Strahlen waren so angenehm auf der Haut!
    »Morgen zeige ich dir den Klostergarten«, hörte sie Tandra Meeru sagen. Der junge Mönch stand dicht neben ihr; nahe genug, dass sich ihre Hände berührten. Aruula spürte seine Blicke. Sie waren nicht anders als die von Kriegern und Barbaren.
    »Warum gibt es hier eigentlich keine Frauen?«, fragte sie, ohne ihr Sonnenbad zu unterbrechen.
    »Frauen sind nicht vorgesehen«, sagte Tandra Meeru. Er klang nervös.
    »Hmm. Und was ist mit fegaashaa? Macht ihr das nicht?«
    Aruulas Hand lag plötzlich allein auf der Mauer. Die Barbarin blieb unbekümmert stehen, ließ die Augen geschlossen und hörte sich Tandra Meerus Gestammel an.
    »Fee… tja, weißt du … äh – nein.«
    »Nie?« Aruula wandte sich ihm zu. Er wich zurück.
    »Nie«, krächzte Tandra Meeru heiser. Sein Gesicht hatte die Farbe reifer Brabeelen angenommen, und er schien beim besten Willen nicht zu wissen, wohin mit den

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