1653 - Randwelt der Rätsel
wahrscheinlich noch eine Weile liegengeblieben, hätte sie nicht eine Stimme gehört, bei deren Klang sie sich reflexartig zusammenriß. Denn vor Arlo Rutan würde sie sich niemals gehenlassen. Die Hanse-Spezialistin öffnete die Augen.
Und da stand er tatsächlich, für Sekunden ein wenig undeutlich, aber dennoch unverkennbar.
Dilja überlegte krampfhaft, was sie ihm alles an den Kopf werfen wollte, da hörte sie ihn sagen: „Es tut mir leid, Dilja Mowak."
Die Oxtornerin zwinkerte, um festzustellen, ob sie nicht etwa träumte. „Was hast du gesagt?" fragte sie ungläubig. Es kam ein wenig mühsam. „Daß es mir leid tut", antwortete Rutan. Seiner Stimme war anzuhören, daß er es ernst meinte. „Ich wollte die Eingeborenen erschrecken, weil ich hoffte, aus ihren Reaktionen Schlüsse auf das Geheimnis ziehen zu können, das es wohl auf dieser Welt gibt. Deshalb ermunterte ich meine Leute sogar anfangs dazu, ein paar Spaße mit ihnen zu treiben."
„Spaße?" brachte Dilja endlich heraus. „Was für euch Spaß war, muß für die Eingeborenen die Hölle gewesen sein. Das Trauma werden sie von Generation zu Generation weitergeben."
„Die Sache ist mir leider aus dem Ruder gelaufen, während ich mich mit ein paar meiner Leute aus einem Hinterhalt freikämpfte", gestand der Ertruser. „Als ich hier ankam und Zeuge der Treibjagd wurde, war das Maß bei mir voll. Ich habe das Manöver abgeblasen."
„Du hast das ganze Manöver abgeblasen?" fragte Dilja. „Ja zum Teufel, warum erst jetzt?
Warum nicht sofort, nachdem ich es dir geraten hatte?"
Er zuckte etwas linkisch die Schultern und sah dabei ziemlich schuldbewußt aus. „Ich entschuldige mich, Dilja", sagte er mit belegter Stimme. „Und ich bitte dich darum, mir zu verzeihen und wieder mit mir zusammenzuarbeiten."
Sie mußte lachen, hörte aber sofort wieder auf damit, als ein stechender Schmerz durch ihre immer noch verkrampfte Bauchmuskulatur fuhr. „Nein, ich mache mich nicht über dich lustig", sagte sie leise, als sie sah, wie seine Miene sich verschieß. „Dein Anblick war nur total ungewohnt. Begraben wir also das Kriegsbeil."
Sie hielt ihm die Hand hoch - und er schlug mit einem tiefen Seufzer ein.
*
Danach stand sie mit seiner Hilfe auf und blickte sich um.
Die Szene hatte sich verändert. Fast alle Shifts waren gestartet und entfernten sich auf Südkurs. Nur noch zwei Flugpanzer standen herum. Die geraubten Gegenstände waren von den Soldaten zurückgelassen worden. Dilja rief ihren Shift zurück.
Sie nickte den Leuten zu, die bei ihr und Rutan standen: Meg Fothern und Bonong „Babyface" Santuk.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung. Sie wandte den Kopf und sah den Eingeborenen mit dem rundschildähnlichen Kopfschmuck neben dem meterdicken Stamm eines abgestorbenen Baumes stehen.
Er beobachtete sie und die anderen Galaktiker. Die Bewegungen seiner Stielaugen verrieten es. Andere Eingeborene ließen sich nicht blicken.
Die Oxtornerin hob etwas mühsam die rechte Hand zum Friedensgruß.
Die Stielaugen des Amphibienwesens erstarrten buchstäblich.
Dilja hielt unwillkürlich den Atem an.
Wenn der Eingeborene jetzt ihren Gruß erwiderte, war das Eis gebrochen.
Doch ihre Erwartung erfüllte sich nicht. Er drehte sich langsam um und schritt steifbeinig auf den nächsten Steinbau zu. Dort tauchte er in einer rechteckigen Öffnung unter. „Deine Liebe bleibt unerwidert, scheint's", spottete Meg Fothern. „Nicht ganz", gab Dilja mit feinem Lächeln zurück. „Wahrscheinlich stört ihn nur eure Gegenwart."
„Das denke ich auch", sagte Arlo. „Er dachte bestimmt, wenn er jetzt zurückwinkt, würden wir das auf uns alle beziehen. Dilja, er will mit dir allein verhandeln."
„Und in diesem Gebäude", ergänzte die Oxtornerin. „Ich werde zu ihm gehen."
„Sei vorsichtig", mahnte Arlo Rutan. „Als ich vermutete, es gäbe auf diesem Planeten ein Geheimnis, war das mein Ernst. Hier existieren Zeugnisse von mindestens zwei grundverschiedenen Kulturen. Was wir hier sehen, ist eine Steinzeitkultur. Aber die technischen Gerätschaften, die ihre Angehörigen mit sich herumtragen, entstammen einer hochentwickelten Zivilisation."
„Das ist mir klar", erwiderte Dilja Mowak. „Aber dir und mir ist nicht klar, was aus den früheren Eigentümern der technischen Gerätschaften geworden ist. Vielleicht kamen sie als Raumfahrer von einem fernen Sonnensystem? Oder vielleicht haben die Wilden sie in eine Falle gelockt und
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