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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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Sausen in seinen Ohren. Gewissenhaft zählte er seine Schritte und zwang sich, gleichmäßig auszuschreiten. Schließlich hielt er an und wandte sich zur rechten Wand. Er lehnte die Fackel gegen die Ziegelfläche, zog einen Dolch aus dem Gürtel und brach in Höhe seiner Taille einen Ziegelstein aus der Wand, der lautlos zu Boden fiel. Gabriel steckte seine Hand in die Höhlung, zog eine kleine Schatulle heraus und verstaute sie in der Tasche, die um seinen Hals hing. Dann machte er kehrt und ging zurück zum Ausgang.
     
    »Er verspätet sich«, murmelte d’Orbay mit angespannter Stimme.
    Fouquet, der die Augen zusammenkniff, als der warme Sommerwind über sein Gesicht strich, lächelte ihn an.
    »Seid nicht so ungeduldig. Er kommt jeden Moment.« Dann nahm er ihn beim Arm und zeigte auf die Gestalt, die an den Nebengebäuden entlanglief. »Schaut, da ist er, er hat noch Zeit, um in die Laterne zu klettern, in fünf Minuten ist er dort.«
    Der Oberintendant zog eine kleine, flache Uhr hervor.
    »Zwanzig Minuten vor zehn. Das ist perfekt.«
    Sie schwiegen und genossen noch einmal die Aussicht, die sich ihnen von der Terrasse aus bot. Das Mondlicht gesellte sich zu den anderen Lichtern des Fests und ließ die Schatten der Bäume und Büsche tanzen.
    Die beiden Männer mischten sich wieder unter die Menge.
     
    Einen Moment später kletterte Gabriel auf den Balkon, der die Laterne der Kuppel begehbar machte. Ein rascher Blick zum Mond, dann kroch er zurück unter das Gebälk, zogschnell einen schwarzen Kasten daraus hervor und nahm ihn behutsam in seine Hände.
    Alles ist bereit, dachte er aufgeregt, als er den Deckel hob. Der Kasten enthielt zwölf Fächer, die mit verschiedenfarbigen Pulvern gefüllt waren. Alles ist da, die acht Pflanzen, der Goldstaub, Wasser, Öl und Myrrhe.
    Er stellte den Kasten ab, griff nach einer auf dem Boden liegenden Brille, die an der Außenkante mit einer Art Skala versehen war, und setzte sie auf. Er bemerkte, wie sehr er zitterte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann entfaltete er eines der Blätter, die im Laufwerk der Wasserspiele zu Füßen der Herkules-Statue verborgen gewesen waren, las die erste Zeile und schüttete darauf eine Messerspitze Pulver aus einem der Fächer in ein kleines Messglas, um die erforderliche Menge genau abzumessen.
    Er spürte, wie seine Erregung wuchs, je weiter er die Vorschriften ausführte. Sein Herz klopfte immer stärker.
    Schließlich goss er Öl und Wasser über die Pflanzen. Dann trat er zurück und schaute auf die Uhr, die d’Orbay ihm gegeben hatte. Sie zeigte eine Minute vor zehn. Vorsichtig ergriff Gabriel das Gefäß, in dem er die Kräuter gemischt hatte, und hielt es über ein kupfernes Becken. Seine Augen waren starr auf den darin liegenden Kodex gerichtet, der auf beinah unwirkliche Weise vom weißen Licht des Mondes beschienen wurde. Ein Windhauch streifte sein Gesicht, und langsam schüttete er den Inhalt des Gefäßes in das Becken. Die trübe, dicke Flüssigkeit bedeckte den Kodex, sickerte durch die Blätter und wurde offenbar von ihnen aufgesaugt. Gabriel schloss für eine Sekunde die Augen. Als er sie wieder öffnete, nahm er das Becken in Augenschein. Der Kodex hatte die Flüssigkeit vollständig aufgesogen.
    Er berührte die Blätter, die wieder trocken zu sein schienen, und nahm sie vorsichtig in die Hand. Er zögerte einen Moment, wollte den Kodex schon öffnen, hielt aber inne, als er unter sich die ersten Gäste sah. Von Lakaien geleitet, die Laternen trugen, begaben sie sich zum Podest, dessen Ränder für Molières Vorstellung mit Bäumen dekoriert waren. Fouquet hatte die Gelegenheit vermutlich genutzt, um sich zu entfernen, unter dem Vorwand letzter Überprüfungen. Der König hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen und ruhte sich aus, während die Zuschauer sich zu ihren Plätzen begaben. Der Oberintendant war vielleicht schon in seinem Schlafgemach.
    Gabriel schlug ein Tuch aus weißem Batist um den Kodex, stieg eiligst die gewundene Treppe hinunter und lief am Haupttragebalken des Dachstuhls entlang. Er hob die Klappe, die zu einer Kammer führte, und betätigte den Mechanismus für eine geheime Schiebetür. Von dort aus gelangte er auf eine Treppe, die vom Arbeitszimmer zum Schlafgemach des Oberintendanten führte. Auf leisen Sohlen durchquerte er den Raum, der ihn von Nicolas Fouquet trennte. Jedes Geräusch vermeidend, tastete er nach dem Hebel für eine weitere Geheimtür, deren Umrisse sich in

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