1661
einem Streifen Mondlicht von der fast völligen Dunkelheit des Flures abhoben. Die Tür öffnete sich lautlos. Gabriel verharrte einen Augenblick auf der Schwelle, da ihn das Licht blendete, das von zwei Kristalllüstern ausging und sich in einem großen venezianischen Spiegel brach.
Er hörte Fouquets Stimme, noch bevor er den Oberintendanten erblickte, der neben seinem Schreibtisch stand.
»Tretet näher, Gabriel.«
Er gehorchte und streckte Fouquet das eingewickelte Paket entgegen. Der nahm es schweigend an sich und legte es auf den Tisch. Sachte entfernte er das Tuch, betrachtete eine Weile das Titelblatt, auf dem rote und grüne Arabesken zu sehen waren sowie eine Sonne mit vierzehn Strahlen, und strich über die Oberfläche. Dann öffnete er den Folianten.
Gabriel beobachtete, wie seine Hände über die Buchstaben flogen. Als er aufsah, wurde er von Fouquets durchdringlichem Blick gefesselt, der imstande schien, die Seiten zu versengen, die er so eindringlich betrachtete. Während er las, murmelte der Oberintendant immer wieder unverständliche Worte.
Schließlich schloss er den Kodex. Für eine Weile blieb er stumm, die Augen ins Leere gerichtet. Als er Gabriel ansah, bemerkte der junge Mann, dass Tränen in seinen Augen schimmerten.
»Alles in bester Ordnung«, sagte er nur, »alles in bester Ordnung.«
Dann, als würde er aus einem Traum erwachen, fragte er: »François hat Euch gezeigt, wie Ihr das Versteck zwischen den beiden Kuppeln öffnet?«
Gabriel nickte bejahend.
»Dann geht«, sagte der Oberintendant. Schweren Herzens schlug er den Stoff wieder um den Kodex. »Bringt ihn schnell ins Versteck, und dann kommt zu der Aufführung.«
Gabriel öffnete den Mund, um zu antworten, doch Fouquet war bereits an der Tür. Das Paket lag auf dem Schreibtisch. Gabriel nahm es an sich und verschwand seinerseits durch die Geheimtür. Er schloss sie und tauchte wieder in die Finsternis ein. Als er zur Treppe kam, die zur Kuppel führte, presste der junge Mann den Kodex gegen seine Brust und fühlte, wie ihm das Herz zerspringen wollte.
Vaux-le-Vicomte
Mittwoch, 17. August, elf Uhr abends
In Alltagskleidung und mit bekümmerter Miene betrat Molière die Bühne. Der König hatte gerade in der ersten Reihe Platz genommen. Das Theater war in der Tannenallee aufgebaut worden, da die Springbrunnen in der Nähe eine willkommene Kühle verbreiteten.
»Sire, es hat uns leider an Zeit gefehlt, und ich bitte Eure Majestät um Entschuldigung dafür, dass wir Euch heute Abend nicht das Vergnügen bieten können, das Ihr vielleicht erwartet habt.«
Ein Raunen ging durch die Menge, die der Herr von Vaux-le-Vicomte zu dem prunkvollen Abend eingeladen hatte. Ludwig XIV. blieb unbeweglich neben dem Oberintendanten der Finanzen sitzen, dessen Lächeln im Gegensatz zu der Ankündigung stand, die der große Schauspieler soeben gemacht hatte.
Doch schon wich der Donnerschlag, den Molière sich als Ouvertüre zum Lustspiel ausgedacht hatte, Madeleine Béjart. Die Schauspielerin trat als Nymphe kostümiert auf und erhielt donnernden Applaus. Das von Fouquet in Auftrag gegebene Lustspiel war das erste eines neuen Genres, das Theater und Tanz miteinander verband. In der Ballettkomödie ›Die Lästigen‹ wurde zwischen den Akten ein Ballett von Beauchamp eingeschoben, ebenso eine Suite von Lully. Die Handlungpries die Verdienste des Königs. Der Erfolg war überwältigend. Am Ende der Vorstellung gab es lang anhaltenden Beifall. Molière frohlockte. Der König hatte applaudiert und während der Aufführung mehrfach aus vollem Halse gelacht, was Fouquet beruhigte. Als die Gäste sich in den Alleen zerstreuten, wurde der Park von einem Feuerwerk erleuchtet, das zum Auftakt ein riesiges Lilienfeld an den Himmel zauberte. Auf dem Kanal sah man im Rhythmus von Trompeten und Trommeln einen großen Wal über das Wasser gleiten. Aus dem Tier schossen rauchende Kracher und ließen die verblüfften Höflinge in laute Oh- und Ah-Rufe ausbrechen.
»Sire«, wagte der Oberintendant zu erklären, »die Illumination ist das Werk des großen Torelli, den ich extra für Euch aus Italien habe kommen lassen.«
Ludwig XIV. nickte, antwortete aber nicht. Er ging an der Seite seines Ministers zum Schloss zurück. Fouquet hatte Anna von Österreich besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen und ihr einen Zweispänner zur Verfügung gestellt, um ihr jede Anstrengung zu ersparen. Die nach wie vor entzückte Menge ging schweigend zum
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