1661
dass ich bald siegreich zurückkehren und diesen Brief eigenhändig zerreißen werde.
Nicolas Fouquet
Seine Hände zitterten so sehr, dass es Gabriel nicht gelang, den Brief wieder zu falten. Mit dem Ärmel trocknete er die Tränen, die ihm in den Augen standen. Er ließ das Kinn auf die Brust sinken. Regungslos saß er da und spürte, wie das Papier zwischen seinen Fingern knisterte, als wäre es lebendig. Schließlich erhob er sich, seine Locken wehten im Wind, der noch stärker geworden war, und er ging zur Reling.
»Gebt acht«, sagte ein Seemann, der ein Tau aufrollte und sich mit nackten Füßen ans Deck klammerte, »auf dieser Seite ist es rutschig.«
Gabriel ging an ihm vorüber, ohne ihn wahrzunehmen, und setzte seinen Weg fort bis zum Bug. Unmittelbar vor ihm bildete die von den Wellen aufspritzende Gischt einen verschwommenen Horizont, wo Himmel und Wasser sich vermischten. Er zerriss den Brief und warf die Fetzen in den Wind. Sie wirbelten eine Weile vor der Galionsfigur her, dann sanken sie in das grüne Wasser und verschwanden.
Gabriel blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete die einsamen Fluten. Dann kehrte er in seine Kabine zurück.
Die Schatulle war da, unter seinen Kleidern, in seinem Koffer.
Der Schiffsrumpf ächzte unter dem Schlag der Wellen. Das Pfeifen des Windes in den Segeln klang wie eine eindringliche Musik. Gabriel schien sie nicht zu hören. Sein Lippen bewegten sich sacht.
»Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort …«
Schloss Fontainebleau
Dienstag, 1. November, elf Uhr morgens
»Ein Sohn! Die Königin hat uns einen Sohn geschenkt!«
Verblüfft sah Louise, wie der König von Frankreich im Zimmer, in dem Maria Theresia niedergekommen war, das Fenster öffnete, sich nach draußen lehnte und seine Freude aus voller Lunge herausschrie.
»Nun schließt aber wieder das Fenster, hört Ihr! Euer Sohn und Eure Frau könnten sich erkälten«, sagte Anna von Österreich sanft zu ihm. Sie strahlte über das ganze Gesicht.
Ludwig XIV. gehorchte seiner Mutter unter diesen Umständen noch einmal. Dann ging er zum Bett, wo die spanische Infantin ruhte, von der Niederkunft vollkommen erschöpft.
»Ihr habt gute Arbeit geleistet, Madame! Das Kind ist wunderschön. Es soll Ludwig heißen«, erklärte er und sah seine junge Gattin mit ungewohnter Zärtlichkeit an.
Dann verließ der Souverän das Zimmer, um die Frauen ihren »Geschäften« zu überlassen. Louise folgte ihm mit dem Blick, während er sich entfernte. Als die Tür sich schloss, blieb sie einen Augenblick unbeweglich stehen, dann näherte auch sie sich dem Bett, mit ausdrucksloser Miene. Sie konnte die Augen nicht von der kleinen, kunstvoll gearbeiteten Wiege abwenden, in die man den Dauphin gelegt hatte.
Colbert, der mit seinen wichtigsten Ministern im Flur wartete, war der Erste, der dem König gratulierte. Dann musste der Monarch den Höflingen gegenübertreten, die immer zahlreicher wurden. Während er die Menschenmenge durchschritt, ließ Ludwig XIV. die Ereignisse des Jahres 1661 vor seinem inneren Auge Revue passieren.
Endlich, sagte er sich, während er die Männer und Frauen betrachtete, die sich tief vor ihm verneigten, als er vorüberging, endlich kann ich allen zeigen, wessen ich fähig bin!
Informationen zum Buch
Paris 1661. Kardinal Mazarin, der als Erster Minister des Königs zwanzig Jahre lang die Geschicke des Landes bestimmte, hat nur noch wenige Tage zu leben. Gegen seinen Willen wird der junge Adlige Gabriel de Pontbriand in den Machtkampf um Mazarins Nachfolge hineingezogen: Der Sekretär von Molières Theatertruppe findet zufällig eine Ledermappe mit verschlüsselten Dokumenten. Als er auf einem der Papiere die Unterschrift seines tot geglaubten Vaters entdeckt, beginnt er Nachforschungen anzustellen. Er sticht in ein Wespennest, denn alle sind hinter der Mappe her. Gabriel kann nur auf die Hilfe der schönen Louise de la Vallière zählen, für die auch der junge Ludwig XIV. entflammt ist. Unter Einsatz ihres Lebens versuchen die beiden ein seit Jahrhunderten sorgsam gehütetes Geheimnis zu lüften. Vom Erfolg ihres Unternehmens hängt das Schicksal Frankreichs und des Sonnenkönigs ab …
Informationen zu den Autoren
Yves Jégo,
1961 in Besançon geboren, ist Bürgermeister von Montereau-Fault-Yonne, Abgeordneter in der Nationalversammlung und Nationalsekretär des Parteienbündnisses UMP.
Denis Lépée,
1968 geboren, war nach
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