1661
hatte, gleich nachdem dieser eingetroffen war.
Der König saß auf einem Podest, wo er über der Festversammlung thronte und den einen oder anderen der Gäste mitfreundlichem Kopfnicken grüßte. Die Königinmutter, die an seiner Seite Platz genommen hatte, litt augenscheinlich unter der Hitze. Sie verschmähte das Essen und wedelte heftig mit einem spanischen Fächer vor ihrem bleichen und müden Gesicht.
Fouquet stand neben der Tür, die sich zu den Gärten hin öffnete, und nahm die Komplimente seiner Gäste entgegen. Ihre Augen leuchteten noch von den Darbietungen, denen sie beigewohnt hatten.
»Was für ein Luxus«, bemerkte eine Stimme hinter ihm.
Fouquet drehte sich um und entdeckte Colbert. Er hielt ein Glas Rotwein in der Hand und hatte sich gegen eine Säule gelehnt.
»Um einen König zu erfreuen, kann nichts schön genug sein«, entgegnete Fouquet in kühlem Ton, dem eine Spur Feindseligkeit beigemischt war.
Colbert hob sein Glas und nickte.
»Ich bitte Euch, mich zu entschuldigen«, unterbrach ihn Fouquet mit eisiger Stimme, »es ist Zeit, dass ich mich erkundige, ob Seine Majestät sich die Vorstellung von Monsieur Molière ansehen möchte.«
Der Oberintendant drehte sich auf dem Absatz um. Daher entging ihm der Blick des kleinen Mannes, der wie ein Dolchstoß in seinen Rücken fuhr.
Vaux-le-Vicomte
Mittwoch, 17. August, neun Uhr abends
Der Festlärm war bis zur Herkules-Statue zu vernehmen. Im Schatten dieses Kolosses hockte Gabriel und drückte mit seinem ganzen Gewicht auf den Hebel, den er unter die Steinplatte geschoben hatte, die mit dem riesigen Sockel verbunden war. Er hielt für einen Moment inne, um seine Kräfte zu sammeln. Er drehte sich noch einmal um und ließ seinen Blick über die Lichter schweifen, die am anderen Ende der Gartenanlage aufschimmerten. Alle Gäste waren zum Schloss zurückgekehrt. Er hob seine Augen und betrachtete einen Augenblick den tiefblauen Himmel. Keine Wolke trübte die helle Nacht, die von strahlendem Mondlicht erleuchtet wurde, in einem fast weißen Gelb.
Er spannte die Muskeln an und bewegte noch einmal den Hebel. Nach und nach hob sich der Stein mit einem stumpfen Knacken und ließ darunter einen dunklen Schacht erkennen. Er führte in das Kanalisationsnetz, das die Becken und die Springbrunnen des Parks mit Wasser versorgte.
Gabriel tastete mit dem Fuß nach den Steigeisen, die in die Mauer eingelassen waren. Dann holte er die Fackel, die er in den Boden hinter dem Sockel gesteckt hatte, damit sie vom Schloss aus nicht zu sehen war, und verschwand in der Öffnung.
Vorsichtig stieg er auf dem rostigen und feuchten Eisen indie Tiefe und spürte, wie der Gestank von verfaultem Wasser ihm die Kehle zuschnürte. Er schlug seinen Schal vor das Gesicht, um Nase und Mund zu bedecken. Dann setzte er seinen Abstieg fort.
Er dachte an Fouquet und d’Orbay. Alles hing nun von ihm ab. Wieder stand ihm vor Augen, wie ernst d’Orbay ausgesehen hatte.
»Nicolas kann sich nicht lange von seinen Gästen entfernen. Wenn er länger fort ist, würde es zu sehr auffallen. Und in geringerem Maße gilt das auch für mich. Zumal wir damit rechnen müssen, dass wir von Colberts Leuten überwacht werden. Deswegen hängt alles von Euch ab: Ihr holt die Papiere aus dem Versteck, in dem Ihr sie seit Eurer Rückkehr aus London aufbewahrt. Und Ihr führt die Entschlüsselung durch. Die Pflanzen, die wir dazu benötigen, habe ich in der Laterne der Kuppel bereitgestellt. Sie sind unter dem Gebälk versteckt, an der Stelle, die ich Euch gezeigt habe. Zu der Laterne hat niemand Zugang, nur der Feuerwerker, der die Raketen zünden soll. Er ist einer von uns. Die Angst vor einer Explosion der Feuerwerkskörper hält Unbefugte fern, auch die auf den Treppen postierten Wachen. Um exakt zehn Uhr steht der Mond in idealer Position über der Kuppel. Dann seid bereit! Danach geht Ihr in Fouquets Schlafgemach hinunter. Er erwartet Euch dort, und Ihr berichtet ihm, ob alles erfolgreich verlaufen ist.«
Plötzlich rutschte sein Fuß von einer glatteren Stufe ab. Gabriel wäre beinahe gestürzt, nur mit Mühe gewann er sein Gleichgewicht wieder. Er wartete einen Moment, schöpfte Atem und stieg weiter hinab.
Als er unter seinen Füßen festgestampfte Erde spürte, wandte er sich von der Leiter ab und zwängte sich in den Tunnel, der sich ihm gegenüber öffnete. Das Geräusch fließenden Wassers, das durch die Leitungen strömte, hallte in demhohlen Gang wider und verursachte ein
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