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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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König verschwunden. Er ging zum Tisch und faltete systematisch die Schriftstücke, eins nach dem anderen, so dass alle in seiner Tasche Platz fanden. Nach getaner Arbeit blickte er zufrieden auf das leere Möbelstück.
    »Trist wie ein Tag ohne Brot«, murmelte er und zuckte mit den Schultern. »Was macht das schon, Hauptsache, ich erreiche mein Ziel.«
    Er verschloss seine Tasche, nahm sie unter den Arm und ging zur Tür. Als er den Flur entlangschritt, sah er durch das Fenster den König im Hof stehen, inmitten einer Menge Höflinge, die der Jagdvorführung mit dem kostbaren Falken zuschauten. Eben stieg der Raubvogel von der Faust des Falknersauf, nachdem er die Kapuze abgenommen hatte, die dem Tier die Sicht nahm. Schnell wie der Blitz stürzte sich der Falke auf eine Taube, die man aus einem kleinen Schlag befreit hatte, stieß einen schrillen Schrei aus und packte sie mit seinen Krallen. Durch die Menge ging ein Raunen der Überraschung und Furcht. Der Falke glitt nun in konzentrischen Kreisen durch die Lüfte, die Taube in festem Griff.
    Colbert verzog das Gesicht vor Abscheu.

Vaux-le-Vicomte
    Mittwoch, 17.   August, sechs Uhr abends
    »Die Pest über den Küchenjungen!«
    Zum zehnten Mal an diesem Tag hob François Vatel die zweizinkige Gabel, mit der er verblüffend leicht die Braten und das Geflügel über seinen Feuern drehte. In der Dunkelheit des riesigen Untergeschosses, wo sich die Küche befand, erschien der Koch von Vaux-le-Vicomte durch den Schatten, der im Widerschein der Flammen auf den Mauern tanzte, noch größer als sonst.
    »Wie oft muss ich es noch sagen? Schürt nicht das Feuer, sonst schrumpft das Fleisch und trocknet aus!«
    Seine Gehilfen hatten sich hinter ihren Herden verkrochen und warteten mit Sorge, welche Folgen der neue Zornesausbruch haben würde.
    »Und die Kuchen«, schrie er und bewegte seinen mächtigen Körper in erstaunlicher Schnelligkeit zu den Rosinenkuchen und Windbeuteln, die auf langen Kupferplatten der Größe nach aufgereiht waren. »Das darf doch wohl nicht wahr sein   …«
    »Jesus, Maria und Josef«, stöhnte leise der Küchenjunge, der am weitesten vom Meister entfernt stand.
    »…   Jesus, Maria und Josef! Ihr wollt wohl meinen Tod«, schrie der Koch wie ein Echo, obwohl er es nicht gehört haben konnte.
    Vatel seufzte. Sein Gesicht glänzte purpurrot, zum einen, weil er der Hitze des Feuers ausgesetzt war, und dann wegen seines Wutanfalls. Für einen Augenblick fühlte er sich entmutigt. Er trocknete den Schweiß ab, der ihm über Stirn und Wangen lief.
    »Los, ihr Haufen Nichtsnutze!«, brüllte er und nahm seinen Rundgang wieder auf. »Uns bleibt nur noch eine Stunde bis zum Anrichten! Der König, meine Herren, ihr kocht für den König! Bei Gott, ein bisschen Selbstachtung!«
     
    Über Vatels Zetern, das aus der Küche an sein Ohr drang, musste Gabriel de Pontbriand lächeln. Armer Vatel, dachte er, als er das Ehrentor erreichte, verdammt sollen die Kuchen sein, die ein menschliches Wesen so quälen können   …
    Noch einmal verspürte er die Furcht, die ihn während der letzten Tage kaum verlassen hatte. Sie waren dem Ziel so nahe: Wenn alles wie erhofft verliefe, würde der heutige Abend den Beginn eines neuen Zeitalters markieren. In seinem Herzen wechselten die Gefühle so schnell, wie die weißen Wolken am Horizont vorbeizogen. Heute Abend würde der Traum seines Vaters Wirklichkeit werden.
    Mit großen Schritten stieg der junge Mann die Stufen zum Schloss hinauf und sah sich um. Vom obersten Absatz der Eingangstreppe aus bot sich ihm ein außergewöhnliches Spektakel. Wohin er auch schaute, sah Gabriel Menschen, die mit den letzten Vorbereitungen für das Fest beschäftigt waren. Er verzog das Gesicht, als er unter den Gestalten auf dem Bühnenpodest seine früheren Schauspielerkollegen erkannte. Sie hatten sich um Molière versammelt, der tobte und wild mit den Armen gestikulierte wie ein winziger Hampelmann. Gabriel hatte ihn am Morgen getroffen, während eines Kontrollrundgangs mit Fouquet. Die Kälte, mit der ihn der großeDichter gegrüßt hatte, hatte ihn zunächst verletzt, dann jedoch in der Überzeugung bestärkt, dass die Vorsehung ihn weise geleitet hatte. Unter den Baumgruppen tauchten nun Arbeiter auf, wo er Fontänen und Steingärten, Wasserfälle, Statuen und die technischen Vorrichtungen vermutete. Die Musiker richteten sich am Rande des Rasens ein, in Ausrichtung auf das Schloss, das wunderbar in der Augustsonne leuchtete.

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