1661
Als Gabriel sich umwandte, sah er, wie die Gäste zu dem vergoldeten, mit dem Wappen des Oberintendanten verzierten Eingangsgitter strömten. Sein Herz pochte, und er riss die Augen auf, ob in der bunten Masse der Roben und Gewänder nicht Louises Antlitz zu entdecken war. La Fontaines vertraute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Nun, Gabriel? Ist das ein Anzug, in dem man den König empfängt? Der ganze Hof drängt sich an unseren Türen, und Ihr habt noch nicht einmal Euer Wams übergezogen.«
Gabriel sah auf sein Hemd und lief zur Treppe.
»Seltsamer Junge«, murmelte der Poet, als er ihm nachblickte, wie er zu seinem Zimmer eilte.
Gabriel rannte die Treppe hinunter, wobei er sich abmühte, sein blaues Seidenband zu binden, das den Kragen schloss. Er strauchelte und wäre fast kopfüber gestürzt. Ein Geräusch, wie wenn Stoff riss, drang an sein Ohr, er taumelte gegen das steinerne Geländer und fand sich schließlich am Boden sitzend wieder, auf dem Treppenabsatz der ersten Etage.
»Himmel, mein Ärmel!«, schimpfte er, als er feststellte, dass die Naht seiner Jacke aufgeplatzt war. Halb so schlimm, dachte er dann, als er sich aufrichtete.
Ein Blick aus dem Fenster ließ ihn erstarren. Vor ihm, in weniger als hundert Meter Entfernung, war gerade der König aus seiner Karosse gestiegen. Nun stand er aufrecht da, einenStock mit Knauf an der Hand, in ein seidenes Gewand von goldener Farbe gehüllt, auf dem Kopf ein schwarzer Hut mit weißen Federn, und er lächelte, als Nicolas Fouquet ihm seine Willkommensgrüße entbot und sich respektvoll vor ihm verneigte. Als Gabriel sah, dass die Gruppe sich in Bewegung setzte, stolperte er die Treppe hinunter, lief über die rückwärtige Außentreppe und schlug einen Halbkreis, um sich unauffällig in das Gefolge einzureihen. Als er den Kopf reckte und über die Höflinge hinwegschaute, die dem König folgten, sah Gabriel Fouquet. Er war damit beschäftigt, die Architektur und die Arbeiten zur Fertigstellung seines Besitzes zu erläutern, wobei er heftig gestikulierte. Die Mauern schienen transparent zu sein, so sehr ließen die Fenster die wunderbare Ansicht der Gärten zutage treten. Der König musterte das Schloss und seine Kuppel so gefühllos und mit einer solchen Strenge, dass es Gabriel einen Stich ins Herz gab.
Nur ruhig Blut, sagte er zu sich selbst. Die Stunde ist noch nicht gekommen. Was macht d’Orbay? Wenn alles gut geht, muss er unbedingt dabei sein, dachte er und biss sich auf die Lippen.
»Gabriel!«
»Louise!«, rief der junge Mann.
Gabriel bahnte sich einen Weg zu der jungen Frau und zog sie mit sich fort aus der Menge.
»Ihr seid nun also Herr eines hübschen Schlosses«, sagte sie lachend zu ihm.
Gabriel konnte seine Augen nicht abwenden von ihrem strahlenden, mit Goldfäden bestickten Kleid, von ihren funkelnden Augen und ihrer weißen Haut.
»Macht Euch nur lustig, gleichgültiges Wesen. Es muss erst ein Fest geben, damit ich Euch sehe. Der Hof hat Euch völlig vereinnahmt«, meinte er trübsinnig.
»Ach kommt, Ihr seid es doch, der unsichtbar ist.«
»Niemand ist so unsichtbar wie der, an den man nicht denkt«, antwortete Gabriel ernst. »Und Ihr wisst sehr gut, dass ich da bin, wenn man mich ruft.«
Diese Andeutung färbte Louises Wangen.
»Das ist wahr«, gab sie zu. »Aber Ihr wart es, der von Amboise geflohen ist und mich allein gelassen hat. Und ich, ich habe Euch wiedergefunden!«
Das Ablenkungsmanöver entlockte Gabriel ein Lächeln.
»Geht«, sagte sie, als er mechanisch den Kopf drehte, um zu sehen, wohin der König und sein Gastgeber verschwunden waren. »Lasst den Oberintendanten nicht warten. Ich muss auch meine Herzogin wiederfinden!«
»Wir sehen uns nachher bei der Aufführung!«, rief Gabriel noch, während sie schon entfloh.
In der Ferne sah er das strahlende Gewand des Königs von Frankreich in der Sonne glitzern.
Die letzten Gäste, die sich während der Vorführung der Wasserspiele unter den Baumgruppen aufgehalten hatten, begaben sich in die Salons zurück, wo Vatel das Abendessen angerichtet hatte.
Zu Hunderten drängten sich die Höflinge schon um die kranzförmig arrangierten Enten und Poularden, die Braten aller Arten, mit unzähligen Beilagen verziert, die Früchtekörbe und die überwältigenden Torten.
Ausrufe des Entzückens waren aus dem angrenzenden Raum zu hören, wo andere Gäste das monumentale Ganzporträt des Königs bewunderten, das Fouquet in Gegenwart des Herrschers enthüllt
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