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hinzu.
Der Schreck stand dem tapferen Mann noch im Gesicht geschrieben, und seine Augen schimmerten feucht. Man hatte ihn auf einen Stuhl gesetzt, damit er wieder zu Atem kam. Während die Truppe, die die beiden umringt hatte, Gabriel herzlich zu seinem Mut gratulierte, verlangte der Concierge nach einem Glas Schnaps, bei dessen bloßem Anblick er kurz darauf wieder Farbe bekam.
»Aber was ist eigentlich passiert?«, fragte ihn Gabriel.
»Seit ich den Lausbuben zerschmettert auf der Bühne gefunden habe, bricht das Unheil über uns herein«, erklärte der alte Mann stöhnend. »Erst die Pfiffe und Buhrufe neulich abends, die den guten Monsieur Molière ganz krank gemacht haben, und dann die Polizei des Kardinals, die die letzten Tage das ganze Theater auf den Kopf gestellt hat. Weiß der Himmel, was sie gesucht haben.«
»Die Polizei des Kardinals? Davon weiß ich ja gar nichts!«, rief Gabriel beunruhigt.
»Wenn ich es Euch sage! Die Herren haben mich drei Stunden lang über jeden Einzelnen ausgefragt«, fuhr der Concierge fort. »Ich habe sogar befürchtet, dass sie mich verhaften und in eines der finsteren Verliese der Conciergerie werfen. Zu glauben, dass Molières Schauspieler auf einmal Feinde des Königs sind! Pah! Sie wollten alles über die Truppe wissen, selbst wo Ihr wohnt und mit wem Ihr verkehrt. Ich habe ihnen nur das gesagt, was ich wusste. Als ob ich im Privatleben derjenigen herumschnüffeln würde, die hier ein und aus gehen! Und dann, heute Morgen, als ich gerade in den großen Saal gehen wollte, um dort zu fegen, stehen plötzlich, wie aus dem Nichts, diese beiden Banditen vor mir.«
»Aber was haben sie gesucht?«, fragte Julie.
»Was weiß denn ich?«, knurrte der Concierge. »Die beiden erklärten voller Zorn, sie wollten auf der Stelle ›ihre Papiere‹ wiederhaben. Ich hatte mich noch nicht von dem Schreck erholt, da gingen sie auch schon auf mich los. Wie durch ein Wunder konnte ich mich ihren Klauen zunächst entwinden. Aber meine alten Beine sind leider nicht mehr so schnell«, sagte er und klopfte sich auf die Schenkel, »in dem Moment, als Ihr dazukamt, Mademoiselle, hatten sie mich eingeholt. Je nachdrücklicher ich beteuerte, nichts von ihrer Geschichte mit den Papieren zu begreifen, desto mehr schlugen sie aufmich ein. Diese Halunken hätten mich umgebracht, wenn Ihr nicht eingegriffen hättet, Monsieur Gabriel«, sagte der Concierge dankbar und kippte noch einen Schnaps hinunter, den Julie ihm fürsorglich eingegossen hatte.
Gabriel lächelte verlegen, da ihm die Dankesbezeigungen des alten Mannes peinlich waren. Er überdachte seine Lage. Dass das Theater erst von der Polizei des Kardinals heimgesucht worden war und nun auch noch von diesen geheimnisvollen Schlägern, verhieß nichts Gutes. Sie alle schienen hinter den Dokumenten her zu sein, die er eine Woche zuvor im Souffleurkasten gefunden und seither immer wieder studiert hatte, ohne einen Schritt vorwärtszukommen. Ich darf keiner Menschenseele erzählen, dass ich die Papiere habe, dachte er. Nun, ich übergäbe sie nicht einmal dem Teufel, wenn er sie von mir verlangte! Nicht, bevor ich nicht das Geheimnis gelüftet und herausgefunden habe, warum sich auf einem der Schriftstücke die Unterschrift meines Vaters befindet! Da spürte er eine Hand auf seinem Arm. Er drehte sich um.
»Du siehst so traurig aus, mein Süßer … woran denkst du?«, fragte Julie.
»Ich denke an meinen Vater …«
»An deinen Vater? Aber ich dachte … ist er nicht schon lange tot?«
»Ja, das dachte ich auch«, antwortete Gabriel und umarmte sie, bevor er sie schnell mit sich in den großen Saal zog, wo die Truppe sich zum Proben versammelt hatte.
Schloss Fontainebleau
Donnerstag, 17. Februar, vier Uhr nachmittags
»Seine Majestät der König!«
Unter dem Rauschen der seidenen Roben verneigten sich die Höflinge, die sich im Empfangssaal des Schlosses Fontainebleau drängten. Die Männer zogen ihre breitkrempigen Federhüte und verbeugten sich tief, die Frauen in ihren weiten Kleidern machten einen Hofknicks. Lächelnd schritt der König durch die andächtig schweigende Menge, ohne dass sein Lächeln jemand Bestimmtem galt, nicht einmal der Königin Maria Theresia, seiner Gattin, die sich, blass und von einer Aura der Zerbrechlichkeit umgeben, bemühte, ihren Schritt mit dem seinen in Einklang zu bringen. Als das königliche Paar schließlich am Thron angelangt war, bedeutete der König seinem Hofstaat, sich zu erheben,
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