1661
und blickte dann zum Zeremonienmeister, der das Protokoll der Audienz in der Hand hielt. Kurz darauf trat ein Botschafter vor, um ein paar Wechsel zu überreichen, die Lionne im Namen des Königs entgegennahm. Während dieser mit starrem Lächeln die formelle Botschaft anhörte, die der nordische Diplomat mit starkem Akzent übermittelte, träumte Ludwig XIV. mit offenen Augen.
Weit weg von diesem Saal und den nur allzu bekannten Gesichtern, denen er allesamt misstraute, ritt er in Gedanken durch seine Wälder von Versailles, hielt Festgelage und trug ritterliche Kämpfe aus, die er den Schrecken des Bürgerkriegsbei weitem vorzog, der 1648 mit einem Aufstand des Pariser Volkes begonnen und zum Ziel gehabt hatte, die Feudalrechte des Adels und die Einspruchsrechte der Gerichtshöfe wiederherzustellen, die unter seinem Vater und Kardinal Richelieu stark beschnitten worden waren. Damals hatten er und seine Familie fliehen müssen … Vergebens versuchte er, diesen letzten Gedanken zu verscheuchen.
Als die Königin sah, wie Ludwigs Lächeln auf seinen Lippen erstarb, zuckte sie unmerklich zusammen, fürchtete sie doch, dass ihr Gemahl sich über sie ärgerte, weil sie nicht begriff, was man von ihr erwartete, denn der jungen spanischen Infantin, die acht Monate zuvor, dem Willen der Mächtigen folgend, allen Erbansprüchen auf die spanische Krone entsagt hatte und Königin von Frankreich geworden war, kam das in einer ihr fremden Sprache abgehaltene französische Hofzeremoniell nach wie vor höchst seltsam vor. Und auch der Vater, der soeben vorgetreten war, um seine Tochter bei Hofe einzuführen, fürchtete, in Ungnade gefallen zu sein. Im Saal trat große Stille ein. Alle hielten den Atem an. Da wurde dem König bewusst, dass alle Augen ängstlich auf ihn gerichtet waren, worauf sich wieder ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht zeigte und er dem Zeremonienmeister mit einem leichten Kopfnicken bedeutete, mit dem Hofzeremoniell fortzufahren.
»Mademoiselle d’Epernoy! Mademoiselle de Luynes!«
Die zu Füßen des Throns aufgerufenen Namen gaben dem Defilee der steifen und leicht verängstigt blickenden Höflinge den Rhythmus vor. Alle haben sie die gleichen artigen Mienen aufgesetzt, und fast immer sind sie ziemlich hässlich, dachte der König, und seine Gedanken schweiften wieder ab. Wie er diese Hofschranzen hasste! Und wie leicht sie zu durchschauen waren! Als Kind hatte er sie ihm gegenüber noch einigermaßen offen erlebt, und was er damals in ihren Gesichtern noch nicht hatte lesen können, das hatte der Kardinal ihmmit viel Geduld im Laufe der Jahre beigebracht. Wenn er nur daran dachte, dass der Tod ihn sehr bald seines Beschützers beraubte und gewisse Leute dies zum Anlass nehmen würden, sich einmal mehr gegen ihn zu verschwören, packten den jungen König die Verzweiflung und der Zorn. Als König allein zu regieren: Der Gedanke schreckte und lockte ihn zugleich. Fast spürte er, wie sein feuriges, wildes Blut durch seinen Körper strömte, das Blut, das ihm in den Adern kochte, während Mazarin von Tag zu Tag blutleerer schien, der Schatten seines allmächtigen Paten blasser und blasser wurde, der hinfällige alte Mann seine Unterweisungen nur noch murmeln konnte. Die Macht … ist sie vielleicht das Lebenselexier?, dachte der König plötzlich wie berauscht. Er schloss die Augen, um sich wieder zu beruhigen.
»Mademoiselle de La Vallière!«
Als Louise sich von ihrem Hofknicks erhob, öffnete der König die Augen, und ihre Blicke begegneten sich.
»Mademoiselle, ich kenne alle Eure Vorzüge. Madame de Choisy kann Euch nicht genug loben, und mein Onkel, Gott hab ihn selig, schrieb Eurer Familie alle Tugenden zu.«
Vollkommen überrascht, dass der König das Wort an sie gerichtet hatte, starrte ihn Louise mit ihren blauen Augen sprachlos an. Erst als Ludwig amüsiert lächelte, begriff sie, wie unschicklich ihr Benehmen war, und schlug errötend die Augen nieder.
Da kam ihr die Königin zu Hilfe.
»Ihr kommt aus der Touraine, Mademoiselle?«, fragte sie Louise mit sanfter Stimme und im Tonfall ihrer Muttersprache.
»Ja, Eure Majestät, dank der Gunst Seiner Hoheit des Herzogs Gaston von Orléans habe ich meine Kindheit auf dem Schloss meines Vaters in Amboise verbracht.«
»Offensichtlich gibt es am französischen Hof also etlicheDamen, die man aus ihren Kinderträumen gerissen hat«, spottete die Königin mit Blick auf den König, der die Anspielung geflissentlich überhörte. Sie
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