1661
der Panik, die unten sicher ausgebrochen ist, nicht zu sehr auffallt.«
Ohne den ohnmächtigen Toussaint Roze noch eines Blickes zu würdigen, verließen die Räuber Mazarins Privatkabinett und liefen durch das Vestibül zur Treppe.
Unten hatten die Wachen des Kardinals in der Zwischenzeit eine Kette gebildet und reichten emsig volle Wassereimer von Hand zu Hand. Gerade als sie den letzten Treppenabsatz erreicht hatten, wollte es jedoch der Zufall, dass der Hauptmann aufblickte und stutzte. Die Männer da in ihren schwarzen Umhängen kamen aus den Räumen Seiner Eminenz, zu denen Fremde keinen Zutritt hatten! Er ließ seinen Eimer fallen und zog reflexartig seinen Degen.
»Zurück!«, rief der Bandenführer und rannte die Treppe wieder hinauf, gefolgt von seinen vier Komplizen.
»Wache! Hinterher!«, brüllte der Hauptmann. Er wollte schon losstürmen und die Verfolgung der Flüchtigen aufnehmen, als ihn jemand am Arm packte.
»Stehenbleiben! Ich befehle Euch … stehen zu bleiben! Das Feuer! Wir müssen das Feuer löschen!«, kreischte Etienne Baluze. »Ich flehe Euch an, macht weiter! Seine Eminenz wird uns das niemals verzeihen!«
Auf dem Gang bis hinaus auf den Innenhof herrschte die größte Verwirrung. Ratlos sahen sich die Wachen an. Wem sollten sie gehorchen?
»Drei Männer kommen mit mir! Ihr anderen bleibt hier und löscht das verdammte Feuer!«, rief der Hauptmann schließlich, der begriffen hatte, dass er die Bibliothek nicht einfach so im Stich lassen konnte.
Die sich widersprechenden Befehle hatten den Männern in Schwarz einen wichtigen Vorsprung verschafft. Ohne Zeit zu verlieren, waren sie ins obere Stockwerk gestürmt. Vom Glockenturm der neu errichteten Kirche Saint-Roch, die wenige Straßen entfernt lag, waren zwölf Schläge zu hören, als die Fliehenden durch eine Luke aufs Dach des Palais Mazarin kletterten.
Trotz der gefährlichen Höhe kam die Truppe einigermaßen schnell voran.
»Der Junge … wo bleibt der Junge?«, fragte der Bandenführer nach ein paar Schritten und drehte sich um. Im selben Moment sah er das Gesicht des Jungen auch schon auftauchen. Sie blieben stehen, damit er zu ihnen aufschließen konnte. Wortlos streckte er seinen älteren Kumpanen eine dicke Geldbörse entgegen, die er dem nach wie vor bewusstlosen Toussaint Roze noch schnell aus der Tasche gezogen hatte.
»Und das habe ich auch noch gefunden«, sagte er und schwenkte eine granatfarbene Ledermappe. »Sie lag unter dem Sekretär.«
Mit einem zufriedenen Lächeln quittierte der Bandenführer die Dreistigkeit seines jungen Lehrlings und trieb seinen Gefährten dann zur Eile an.
»Wir gehen über das Dach des Theaters im Palais-Royal. Von dort versuchen wir an der zur Seine gelegenen Seite irgendwiein den Palast einzusteigen. Aber passt auf, hier oben ist alles vereist!«, erklärte er und wandte sich noch einmal um zu der Luke, durch die sie sich aufs Dach geschwungen hatten. »Wir müssen uns beeilen. Ich höre die Wachen schon kommen.«
Und tatsächlich: In der Luke erschien die stattliche Gestalt des Hauptmanns. Die von der Situation völlig überforderten drei Soldaten folgten ihm nur mit Mühe, so dass die Räuberbande ihren Vorsprung noch ausgebaut hatte, als sie auf dem Dach des Theaters ankam. Die Männer blickten sich gerade nach einer Möglichkeit um, wie sie in das Gebäude gelangen konnten, da ließ sie plötzlich das grässliche Knirschen splitternden Glases erstarren. Ruckartig drehten sie sich um. Mitten in einem der Oberlichter klaffte ein großes Loch.
So schnell er konnte, lief der Anführer zurück und beugte sich vorsichtig über die kaputte Glasfläche. Vielleicht hatte er das Glas nicht gesehen oder war auf dem vereisten Dach ausgerutscht, jedenfalls lag der Jüngste der Bande nun mit völlig verrenkten Gliedern tief unten, mitten auf der großen Bühne des neuen Theatersaals Seiner Majestät, und rührte sich nicht mehr. »Wir können nichts mehr für ihn tun … Gott hab ihn selig. Er möge ruhen in Frieden«, sagte der Bandenführer bedauernd, bekreuzigte sich und drehte sich zu seinen Leuten um. »Los, sputen wir uns, da vorne geht’s runter.«
Ohne ein weiteres Wort ging der Mann mit den zweifarbigen Augen voran, und kurz darauf verschwanden sie vor den Augen der sie verfolgenden keuchenden Wachen in der Dunkelheit des Dachbodens.
Während seinen Komplizen auf dem Dach die Flucht glückte, schaffte es der Junge mit vom Schmerz verzerrten Gesicht gerade noch,
Weitere Kostenlose Bücher