1661
musste Fouquet die Frage verneinen.
»Sollte ich ihn kennen?«
»Und wenn ich Euch sage, dass Pontbriand der wirkliche Nachname eines Mannes ist, der sich Charles Saint John nennt, und dass dieser Gabriel ihm auffallend ähnlich sieht?«
Fouquet zuckte zusammen.
»Wie! Was sagt Ihr?! Seid Ihr Euch sicher?«, rief er aufgeregt.
»Vollkommen«, antwortete d’Orbay. »Der Schock ist wohl ziemlich groß gewesen, als ich ihn in Eurem Vorzimmer erblickt habe, deshalb ist es mir nicht gleich eingefallen. Ich muss zugeben, dass mir vor Entsetzen das Blut in den Adern gefror, als es mir vorhin in meiner Kutsche wie Schuppen von den Augen fiel. Dieser Gabriel ist der Sohn unseres Bruders André de Pontbriand.«
Eine tiefe Stille trat ein.
»Gabriel de Pontbriand …«, murmelte der Oberintendant nach einer guten Weile mit düsterer Miene und erzählte seinem Freund danach haarklein von Gabriels Besuch.
»Dieser Zufall ist in der Tat irritierend«, erklärte d’Orbay,»unser Vorhaben ist zu heikel und seine Bedeutung zu groß, als dass wir solche Zufälle außer Acht lassen dürfen. Deswegen wollte ich Euch auch sofort warnen. Aber wer weiß … vielleicht sollte man dem Ganzen auch nicht so viel Wichtigkeit beimessen, schließlich haben wir so schon genug zu bedenken. Vielleicht hat die Herkunft des jungen Mannes auch nichts mit all den seltsamen Überfällen und Drohungen zu tun …«
»Ihr habt sicher recht, aber trotzdem … Wir müssen wachsam sein. Es war jedenfalls richtig von Euch, mich sofort über Eure Entdeckung in Kenntnis zu setzen. Wenn ich daran denke, dass ich ihm meine Protektion versprochen habe, ohne dass ich wusste …«, erklärte der Oberintendant, »ich habe ihm sogar angeboten, sich auf meinem Schloss in Vaux zu verstecken, bis die Lage sich beruhigt hat.«
»Na, umso besser!«, rief der Architekt. »In Vaux haben wir ihn unter Kontrolle, dort können wir gut auf ihn aufpassen und dafür sorgen, dass er uns nicht in die Quere kommt. Nutzen wir die Zeit, um den Wirrwarr aufzuklären und herauszufinden, warum man es auf ihn abgesehen hat. So werden wir am besten dieses beklemmende Gefühl los, dass das eine mit dem anderen zu tun hat.«
»Was, glaubt Ihr, weiß er?«
D’Orbay verzog das Gesicht zu einer skeptischen Grimasse.
»Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er überhaupt etwas weiß und unsere Feinde auf unsere Fährte zu setzen vermag. Er hat seinen Vater vor fünfzehn Jahren zum letzten Mal gesehen, und man hat der Familie erzählt, er sei tot. Wer sollte das besser wissen als wir?«
Fouquet schwieg einen Moment lang nachdenklich.
»Das geschäftige Treiben von Mazarins Spitzeln, Colbert und seine Polizei, der Einbruch … und nun dieser scheinbare Zufall. Das alles ist sehr beunruhigend …« Er stockte wieder,riss sich dann aber zusammen und sah d’Orbay an. »Wann, sagtet Ihr, kommt es hier an?«
»Unser Schatz wird Rom in einem Monat verlassen«, entgegnete d’Orbay mit leiser Stimme, »einen Monat später ist das verschlüsselte Manuskript in Frankreich. Und einige Tage danach in Vaux. Im Sommer wird alles an Ort und Stelle sein.« Fouquet faltete die Hände vor seinem Gesicht.
»Der Himmel gebe, dass wir bis dahin den Code gefunden haben. Wenn nicht …«
»Wenn nicht, machen wir es eben ohne«, unterbrach ihn d’Orbay und stand auf.
Der Oberintendant warf einen Blick aus dem Fenster.
»Ich weiß, was Ihr denkt, François. Ich verstehe Eure Ungeduld. Auch ich vertraue auf das, was wir bis jetzt vollbracht haben. Ich glaube, dass Vaux der Mittelpunkt eines neuen politischen Zeitalters werden kann, welches endlich wieder die Wahrheit ans Tageslicht bringt, die Wahrheit, wie Christus sie uns gelehrt hat. Doch sollten wir unsere Kräfte nicht überschätzen«, meinte er lächelnd, »vor allen Dingen meine nicht, François.«
D’Orbay nahm sein Cape, das er beim Hereinkommen achtlos auf einen Stuhl gelegt hatte, und warf es sich über die Schultern.
»Nun, darüber sprechen wir, wenn die Zeit gekommen ist«, sagte er und drehte sich ein letztes Mal zu Fouquet um, der mit funkelndem Blick zu ihm hochsah. »Habt keine Angst, Ihr werdet ihn überzeugen«, erklärte er, während er sich die Handschuhe überstreifte, »da bin ich mir ganz sicher.«
»Euer Wort in Gottes Ohr«, murmelte Fouquet, als sich die Tür hinter dem Architekten schloss. »Es möge sich bewahrheiten …«
Schloss von Vincennes
Dienstag, 8. März, gegen sieben Uhr
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