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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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abends
    »Wir sollten nun voneinander Abschied nehmen, Madame   …«
    Die Königinmutter schrak zusammen, als sie die dünne Stimme hörte, die kaum noch etwas von dem melodischen Klang erahnen ließ, der ihr so lieb und teuer gewesen war, hatte sie doch geglaubt, Mazarin würde schlafen. Ins Gebet versunken, hatte Anna von Österreich lange Zeit in einem Sessel am Bett des Kranken gewacht. Mit einem gequälten Lächeln beugte sie sich über das abgezehrte, gelbliche Gesicht des Kranken, aus dem das Leben schon fast gewichen zu sein schien. Wortlos nahm sie seine Hand, da sie fürchtete, dass Worte ihre Gefühle verraten könnten, und streichelte die kalten und steifen Finger.
    »Wie schwer es ist, diese Welt zu verlassen, um in eine bessere einzugehen«, flüsterte Mazarin. »Zum Glück nehmen jedoch auch die Sorgen ab: Ich muss nicht mehr an die Gemälde und Bücher denken, die dem Brand in meiner Bibliothek zum Opfer gefallen sind. Und auch die Staatsgeschäfte bekümmern mich fast nicht mehr, aber das wage ich nur Euch zu gestehen   … Wie schwer es doch ist, die Menschen zu verlassen, die man liebt! Weint nicht, Madame«, fuhr der Kardinal fort und kniff die müden Augen zusammen, um im Halbdunkel die Gesichtszüge der Königinmutter besser erkennen zu können, der es immer schwerer fiel, ihre Tränen zurückzuhalten.»Ich vertraue auf die Urteilskraft des Königs und seine geistige Reife, zumal ich Euch an seiner Seite weiß. Welch bessere Unterstützung kann sich ein Sohn erhoffen als die einer aufmerksamen, erfahrenen Mutter?«
    Die Königin konnte einen Schluchzer nun nicht mehr unterdrücken.
    »Die seines Vaters«, flüsterte sie mit großer Mühe zurück.
    Mazarins Muskeln verkrampften sich. Dann befreite er seine Hand aus der ihren und legte die Fingerspitzen sacht auf die Lippen der Königinmutter.
    »Das sind Worte, Madame, die Ihr nie aussprechen solltet. Hier haben die Wände Ohren. Diese Worte bewahrt jeder von uns beiden in seinem Herzen«, erklärte er stockend, aber bestimmt.
    Er schloss erneut die Augen, als hätten die wenigen Sätze ihn übermäßig viel Kraft gekostet.
    Stille trat ein. Reglos saß Anna von Österreich da und wurde einmal mehr vom Taumel dieser Worte ergriffen, die so viele Jahre lang ihr Leben bestimmt hatten. Wie Wellen, die aus ihrer Vergangenheit aufbrandeten, stiegen in ihr die Erinnerungen auf, und sie dachte zurück an die Zeit, als sie gelernt hatte, sich zu verstellen, in dem Maße, wie der junge Mazarin, den sie 1632 kennengelernt hatte, eine immer größere Anziehungskraft auf sie ausübte. Bald dreißig Jahre waren seither vergangen, und der junge, ehrgeizige Mann mit den runden Wangen und den blitzenden Augen von einst hatte sich in diesen hohlwangigen, sterbenden Sphinx mit dem erloschenen Blick verwandelt. Das geheime, aber unauflösliche Band, das die einstige Königin von Frankreich mit dem Ersten Minister vereinte, würde jedoch alles überdauern. Anna von Österreich durchlebte auch noch einmal die Momente der Verzweiflung, als das französische Volk sie wegen ihrer ausländischen Herkunft ablehnte und sie den schlimmsten Verdächtigungendurch ihren Gatten, König Ludwig XIII., sowie Kardinal Richelieu, seinen Ersten Minister, ausgesetzt war. Damals, als man sie beschuldigte, zugunsten ihres Geburtslandes Spanien ein Komplott gegen ihre neue Heimat anzuzetteln, wer hatte da zu ihr gehalten außer ihr Berater Mazarin, auch er ein Ausländer, über dessen Akzent man sich ebenfalls lustig machte? Er hatte sie verteidigt und ihr geholfen. Er hatte sie verstanden   … und geliebt. Niemals war er schwach geworden, immer war er zur Stelle gewesen. Das Stillschweigen, das ihnen auferlegt worden war, hatte zwischen ihnen eine beispiellos tiefe Vertrautheit geschaffen, die Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr mit der Entwicklung eines kleinen Jungen besiegelt wurde, der dazu bestimmt war, König von Frankreich zu werden   …
    In diesem Moment schlug der Kardinal die Augen wieder auf und ergriff die Hände der Königinmutter. Er bedeutete ihr, sich zu ihm herabzubeugen.
    »Unser Geheimnis, Madame, übersteigt alles bisher Dagewesene, und wir werden es mit ins Grab nehmen. Ich bin viel zu überheblich gewesen, als ich, noch im Vollbesitz meiner Kräfte, davon absah, all die Beweise zu zerstören, die auf seine Spur führen könnten. Ich habe die Korrespondenz aufbewahrt, Madame, die Ihr nach Ludwigs Geburt an mich gerichtet habt, und auch den

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