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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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er sie wieder zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt. Die Brille zwischen zwei Fingern, sah der Mathematiker Gabriel, der ihm regungslos gegenübersaß, durchdringend an.
    »Wo zum Teufel habt Ihr das gefunden?«
    Gabriel kam ins Stottern, so dass der beleibte Mann in dem seidenen Hausrock sich vor lauter Ungeduld schwerfällig erhob und zu Gabriel hinüberbeugte, der so jedes Fältchen in dessen Augenwinkeln und jede Pore auf seinem fast kahlen Schädel erkennen konnte. Nur die noch junge Stimme verriet das wahre Alter des Mathematikers, der ansonsten schon wie ein alter Mann wirkte.
    »Woher habt Ihr diese Papiere?«, fragte er noch einmal. »Wer hat sie Euch gegeben?«
    »Kommen sie Euch etwa bekannt vor?«, wollte Gabriel wissen.
    Mit misstrauischer Miene ließ sich Barrême grummelnd auf seinen Stuhl fallen.
    »Vielleicht   … ja   … aber es sind nicht alle   …«
    Er klemmte sich seinen Kneifer wieder auf die Nase undvertiefte sich erneut in die Papiere. Nach einer Weile hob er den Kopf.
    »Versteht Ihr etwas von Mathematik, Monsieur?«
    »Ein wenig«, wagte Gabriel zu entgegnen, »ein wenig Geometrie und Algeb…«
    »Ein Code«, unterbrach ihn Barrême, »ist ein mathematisches Rätsel. Codes sind wie Unterschriften: Zwar gibt es Hunderte davon, doch letztlich lassen sie sich alle auf ein paar Methoden der Verschlüsselung zurückführen, und neue Methoden werden höchst selten erfunden. In den fast zwanzig Jahren, die ich mich nun schon diesem Fachgebiet widme, bin ich nur äußerst selten überrascht worden   …«
    »Und jetzt seid Ihr es? Ist es ein Code, den Ihr nicht kennt?«
    Angesichts Barrêmes erzürnter Miene bedauerte Gabriel sofort seine Worte und zwang sich, seine Neugier zu bezähmen.
    »Keineswegs, junger Mann, zieht nicht voreilig falsche Schlüsse! Nein, ich sehe mich hier durchaus nicht einem mir unbekannten Code gegenüber. Im Gegenteil, ich kenne ihn, besser gesagt, ich erkenne ihn wieder. Es ist allerdings schon lange her, dass ich   …«
    Als der Rechenmeister merkte, dass Gabriel vor Ungeduld fast verging, verstummte er für einen Moment, so als wollte er den Wert dessen, was er ihm zu eröffnen hatte, noch steigern.
    »Wenn ich Euch gefragt habe, woher Ihr diese Dokumente habt, dann deshalb, weil ich sie vor fast fünfzehn Jahren zum letzten Mal gesehen habe. Ich war damals noch sehr jung. Mein Vater hatte mich in die Toskana und nach Rom geschickt, um bei den italienischen Rechenmeistern Naturwissenschaften zu studieren. Dort war man wohl wegen meiner hervorragenden Arbeit auf mich aufmerksam geworden«, brüstete sich der Mathematiker mit kaum verhohlener Eitelkeit, »jedenfalls ließ man mich eines Abends in Rom heimlich in einen Palazzorufen, um ein Schriftstück zu verschlüsseln   … genau genommen dieses Schriftstück«, erklärte er und zog eines der vier Blätter hervor.
    »Dann kennt Ihr also den Code?«, rief Gabriel, der sich nun nicht mehr beherrschen konnte, und sprang auf.
    Der finstere Blick des korpulenten Mannes ließ ihn jedoch gleich wieder auf seinen Stuhl sinken.
    »Ja könnt Ihr denn nicht einmal fünf Minuten ruhig zuhören? Barbin hatte mich schon vorgewarnt, dass Ihr ein ungestümer junger Mann seid, aber gleich so? Monsieur Molière hat Glück, dass er Künstler ist und kein Landvermesser, wenn er Euch an seiner Seite hat!«
    Mit gesenktem Kopf machte Gabriel schon Anstalten, sich zu entschuldigen, als er Barrêmes tadelnden Blick bemerkte, so dass er den Mund schnell wieder schloss.
    »Um Eure Frage zu beantworten: Nein, ich kenne den Code nicht. Gerade deswegen erinnere ich mich ja an das Schriftstück. Ich habe es gelesen, wenn ich auch nicht weiß, was drinsteht   …«
    Gabriel sah ihn verständnislos an, was Barrême eine gewisse Befriedigung zu verschaffen schien.
    »Ja, ja, Ihr habt richtig gehört, ich habe es nicht gelesen, genauer gesagt, ich habe nur eine Passage davon gelesen, die keinerlei Sinn ergab. Ich nehme an, dass andere die übrigen Teile verschlüsselten.«
    Die Enttäuschung war Gabriels Gesicht anzusehen.
    »Das wird Euch bei Eurem Bühnenstück kaum helfen, nicht wahr?«, sagte der Mann in argwöhnischem Ton. »Hört dennoch, was weiter geschah. Nachdem ich meine Arbeit beendet hatte, hieß man mich mehrere Stunden zu warten und brachte mir dann das Dokument zurück, damit ich es noch einmal verschlüssele. Die Italiener sind für das Verfahren des doppelten Codes berühmt. Was mich allerdings in

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