1661
Vertrag, den wir aufsetzten, um vor Gott zu bezeugen, dass wir keine Verfehlung begangen haben, die er uns in seiner Gnade nicht vergeben könnte. Ich weiß, dass ich diese Papiere hätte vernichten sollen, doch ich konnte mich nicht rechtzeitig dazu entschließen.« Die Stimme versagte ihm. Der Kardinal schwieg einen Moment, bevor er weitersprach: »Ich hatte meinem Privatsekretär Befehl gegeben, diese Dokumente aus dem Geheimfach in meinen Gemächern zu holen …«
Als die Königin begriff, begann sie vor Bestürzung zu zittern.
»Der Diebstahl in Eurem Palais!«
Der Kardinal nickte.
»Ja, Madame, die uns kompromittierenden Papiere befinden sich unter denen, die gestohlen wurden. Darum müssen wir sie unbedingt zurückbekommen. Ich würde die Sache gern noch zu einem guten Ende bringen, aber ich muss mich wohl den Tatsachen beugen. Es liegt nun an Euch, Madame, sie in unser beider Namen weiterzuführen. Gottlob sind die Dokumente verschlüsselt und, wie ich glaube, nicht zu enträtseln.«
Mit äußerster Anstrengung stützte sich der Kardinal auf einem Ellenbogen auf; seine Lippen berührten nun fast das Ohr der Königinmutter.
»Aber niemand darf auch nur irgendetwas davon erfahren, Madame. Colbert wird Euch eine wertvolle Stütze sein, aber über den wirklichen Inhalt der Papiere darf auch er nicht Bescheid wissen. Ihr dürft das Geheimnis mit niemandem teilen, nicht einmal mit … vor allem nicht mit dem König. Macht die Papiere ausfindig und vernichtet sie.«
»Welch Leichtsinn, Jules«, flüsterte die Königinmutter bestürzt, doch in einem Ton, der keinerlei Vorwurf enthielt. »Ich werde die Monarchie beschützen, seid unbesorgt. Ich werde die Bürde tragen … für uns beide«, sprach sie und strich behutsam über die feuchte Stirn des Sterbenden.
Ein schmerzliches Lächeln huschte über das Gesicht des Kardinals. Er wollte etwas entgegnen, doch nun war sie es, die einen Finger auf seinen Mund legte.
»Still! Das Sprechen strengt Euch viel zu sehr an. Zwischen uns bedarf es keiner Worte mehr«, fügte die Königinmutter mit zitternder Stimme hinzu. »Es bedurfte zwischen uns noch niemals der Worte … mein Freund.«
»Das ist leider noch nicht alles, Madame. Es fehlt uns an Zeit, hört daher aufmerksam zu, was ich Euch noch zu sagen habe. Die besagten Dokumente befanden sich in einer ledernenMappe zusammen mit einem Stoß ebenfalls verschlüsselter Papiere, deren Code ich bedauerlicherweise nicht kenne. Sie bergen ein Geheimnis, für das man schon getötet hat, ein Geheimnis, das vielleicht weitaus schrecklicher ist als das unsere und Frankreichs Schicksal noch viel radikaler beeinflussen könnte.«
Anna von Österreich erschauderte vor Entsetzen.
»Diese Papiere, Madame, sind vor Jahren in meinen Besitz gelangt, als das Bündnis des französischen Hochadels und der hohen Richterschaft der Parlements das Land in Aufruhr versetzte und die Verschwörer kurz davor waren, die Monarchie abzuschaffen. Ich weiß um den Wert, den einige der Aufrührer diesen Schriftstücken beimaßen. Der Mann, bei dem wir sie gefunden hatten und der von meinen Leuten auch festgenommen worden war, konnte leider fliehen, die Dokumente musste er dabei allerdings zurücklassen. Ihr Geheimnis vermochte bis heute niemand zu lüften. Sie müssen vernichtet werden. Wenn man sie schon nicht entschlüsseln kann, müssen sie verschwinden. Man sollte niemand in Versuchung führen. Wiederholt Colbert meine Worte, bedeutet ihm, dass diese Papiere der Monarchie höchst gefährlich werden können. Nichts und niemand darf ihn dabei aufhalten. Wer immer die Papiere an sich genommen hat, muss aus dem Weg geräumt werden. Colbert soll das gesamte Diebesgut sicherstellen und dann auf der Stelle verbrennen. Überzeugt Euch davon, Madame, dass er es auch wirklich tut … Und jetzt geht, Madame, es ist an der Zeit«, schloss er und zog an der Klingel für seinen Kammerdiener.
Als dieser eintrat, berührten sich die weißen Hände der Königin und des Sterbenden ein letztes Mal. Dann erhob sich Anna von Österreich.
»Richtet Monsieur Colbert aus, dass die Königinmutter ihn unverzüglich in ihren Gemächern zu sprechen wünscht.«
Paris, in der Wohnung von Bertrand Barrême
Dienstag, 8. März, neun Uhr abends
Mit einer jähen Handbewegung riss sich Bertrand Barrême den Kneifer von seiner großen Nase, während seine andere Hand über die vier Blätter strich, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet waren. Schnell zog
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