1666 - Der weite Horizont
die Verzweiflung, die Hilflosigkeit und die stille Wut Hennas registrierte er gut.
Fast konnte er sie spüren. „Wir können nichts tun", sagte sie zu ihren Gefährten. „Wir können, verdammt noch mal, nichts unternehmen, ohne unsere Freunde dadurch zu gefährden. Diese Teufel halten sie unter ständiger Kontrolle. Und sie würden sie ohne zu zögern umbringen.
Auch wenn wir mit Paralysestrahlen angreifen, können sie Perry oder einen anderen sofort töten."
Es herrschte vollkommene Ratlosigkeit. Keiner der Fremden sagte etwas. Jeder brütete vor sich hin. Manche spielten nervös an Waffen herum, die sie nicht einsetzen konnten. „Vielleicht auf dem Weg zu dem Berg", sagte dann einer. „Die Voch werden zehn schwere Fremde nicht tragen wollen, und schon gar nicht einen Abhang hinauf. Sie müssen sie also rechtzeitig zu sich kommen lassen."
„Abhang?" fragte Henna den Mann verwundert.
Er zuckte mit den breiten Schultern. „Sie wollen sie doch ihrem Heiligen Berg opfern.
Zwar aus der Ferne, wie dieser König es sagte, aber bestimmt nicht direkt in ihrem Dorf oder an einer anderen Stelle der Schlucht. Um den Berg verehren zu können, müssen sie doch erst einmal wissen, daß es ihn gibt."
„Und dazu müssen sie ihn sehen können, und das geht nicht von der Schlucht aus", nahm Henna den Faden auf. Sie nickte. „Diese Besessenen wollen sicher in der Frühe aufbrechen, um Rhodan und die anderen zu opfern. Also werden sie aus der Schlucht klettern müssen, wahrscheinlich auf einen Gipfel, von dem aus sie ihr Dorf noch sehen können."
„Und von dort sehen sie dann auch den Heiligen Berg - das Weite Land."
Boccu konnte alles verstehen. Er schauderte. Also hatte er sich vorhin doch nicht verhört, als Henna laut wiederholte, was ihr Rhodan über das Zaubergerät aus der Schlucht sagte. „Komm mit mir, Kniff!" sagte der junge Nasran aus einem Gefühl heraus, das er nicht erklären konnte. Er spürte einfach, daß er den Wilden jetzt brauchte, und zwar ihn allein.
Die Fremden hatten voll und ganz mit sich selbst zu tun. Sie bemerkten auch diesmal nicht, wie er sich mit dem Nasranfresser zurückzog, hinter den Felsen.
Kruff hockte sich neben ihm hin und blickte ihn fragend an. Boccu ließ sich zu Boden rutschen und blickte in die Richtung, in der sich Attan aus dem schwarzen Nebel gebildet hatte. „Das Weite Land ist jetzt sehr nahe", rasselte Kruff wieder einmal seinen Spruch herunter. Dann fragte er überraschend: „Wirst du es betreten, Erhabener? Wirst du deinen Weg zu Ende gehen?"
Schon wieder diese seltsamen Fragen. Boccu wollte nun endlich wissen, woran er mit dem jungen Wilden war. Es war ein Grund gewesen, ihn hierher mitzunehmen. „Was weißt du, Kruff?" fragte er. „Du mußt es mir sagen. Damit dienst du mir mehr als mit deinen unverständlichen Sprüchen oder wenn du mir andauernd nachschleichst."
Boccu hatte erwartet, daß der Wilde auch jetzt wieder schwieg, und stellte die Frage nach dem, was er in seinem Dorf geschrien hatte, erst gar nicht. Doch dann wurde er überrascht. „Ich war immer anders als meine Stammesgenossen", begann Kruff. Sein Blick war plötzlich viel offener als sonst. Er sah Boccu lange an. „Ich bin nicht besser als sie, weil ich dich gerettet habe. Gutes und Böses ist immer nur eine Frage für den, der sie stellt.
Die Voch sind in den Auge nder Fremden böse und schlecht. In ihren eigenen Augen aber leben sie so, wie es ihnen bestimmt ist. So tut es auch mein Stamm. Ich war einmal dabei, als ein Wanderer wie du kam, aus einem fremden Land. Ich habe auch von seinem Fleisch gegessen, wie von einem Tier. Bin ich deshalb böse?"
Boccu antwortete ihm nicht. Er spürte, daß Kruff so weiterreden würde. Es war, als sei ein Bann von ihm abgefallen - oder als habe er mit seinen Erklärungen nur gewartet, bis die richtige Zeit gekommen war.
Jetzt, wo es dunkel war, fühlte er sich unwohl. Am hellen Tag sah er das schwarze Nichts kommen. Nun aber, wenn es sich lautlos um ihn herum zusammenbraute... „Ich war immer anders", wiederholte Kruff. „Ich habe oft und tief geträumt, aber es waren keine gewöhnlichen Träume. Ich glaube, Erhabener, daß ich wie du einen Geistführer habe. Er hat sich mir nie gezeigt, aber er ließ mich Dinge sehen, die ich nur nach und nach verstehe."
„Was läßt er dich sehen?" fragte Boccu.
Das namenlose Schwarz kam. Jetzt! Er konnte es nicht sehen und hören, aber es war da und kam näher. Von allen Seiten. „Dinge von gestern, heute
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