1668 - Wolfsnacht
bedeuten hatte.
Es war finster, aber nicht so finster, als dass sie nichts gesehen hätte. Der Wind hatte den größten Teil der Wolken vertrieben, sodass zahlreiche blanke Stellen zum Vorschein gekommen waren. Hinzu kam der Mond, der zwar nicht voll, jedoch recht rund vom Himmel herab glotzte und so etwas wie einen silbrigen Schein auf die Erde warf.
Zuerst sah sie nichts. Dann schob sie ihren Kopf noch weiter vor und schaute an der Hauswand hinab.
Er war da!
Sie sah ihn nicht in allen Einzelheiten, doch den Blick würde sie nicht vergessen. Diese Augen. Dieser Blick darin. Es war die Gestalt, die sie auf dem Weg gesehen hatte. Jetzt stand sie unten vor dem Fenster, glotzte hoch, ging in die Hocke und sprang mit einer blitzschnellen Bewegung in die Höhe. So hoch und so rasch, dass Helen nicht mehr zurückweichen konnte.
Zwar wurde sie nicht gepackt, aber der Bestie gelang es, sich an die äußere Fensterbank zu klammern und sich mit geschmeidigen Bewegungen in die Höhe zu ziehen. Helen konnte nicht mehr. Sie musste einfach schreien und wich dabei zurück. Es half ihr nichts. Die Öffnung war groß genug, um die Bestie aufnehmen zu können. Lange blieb sie dort nicht hocken. Sie ließ sich einfach fallen, war im Zimmer, und Helen Winter wusste, dass sie keine Chance hatte, dem Angreifer zu entgehen. Sie war zurückgewichen. Hinter ihr stand die Zimmertür offen, und Helen konnte nicht sagen, warum sie stehen blieb und nicht die Flucht ergriff. Es war möglich, dass ihr Unterbewusstsein keine Chance mehr sah und sie deshalb bewegungslos auf der Stelle stehen blieb.
Er fixierte sie. Dabei waren die Blicke wie die Augen von Kameras auf sie gerichtet. Kein Detail sollte ihnen entgehen, und sein heftiges Schnauben erreichte die Ohren der Frau.
Hände waren zu Pranken geworden. Mit den Füßen verhielt es sich ebenso. Dicht wuchs der Pelz auf dem Körper, sodass er undurchdringlich erschien. Die Schnauze stand offen. Sie war witternd nach vorn geschoben und eine breite Zunge erschien, die sich bewegte. Jedes Mal, wenn sie gegen den unteren Rand der Schnauze klatschte, war ein Geräusch zu hören, als hätte jemand mit der flachen Hand auf eine Wasseroberfläche geschlagen.
Helen wusste noch immer nicht, wie sie sich verhalten sollte. Was war richtig, was war falsch?
Sie würde innerhalb einer kurzen Zeit zu einer Entscheidung gezwungen werden. Denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Bestie noch lange mit einer Entscheidung warten würde.
Und richtig.
Sie ging vor.
Trotz ihrer Körperfülle bewegte sie sich geschmeidig. Noch immer war das Leuchten in den Augen zu sehen, und es kam Helen jetzt sogar noch heller vor. Sie hatte noch immer keine Entscheidung getroffen. Das musste sie auch nicht, denn etwas anderes geschah.
Vom Garten her erklang ein schriller Pfiff.
Der Werwolf stoppte seine Bewegung. Er hob seinen Schädel an und schien zu lauschen.
Und er hörte etwas. Ebenso wie Helen Winter, wobei beide wohl überrascht waren. Eine Frauenstimme klang auf. Sie rief einen Namen.
»Igor!«
***
Die Bestie erstarrte. Nichts bewegte sich mehr an ihr. Sie schien auf der Stelle eingefroren zu sein. Der Werwolf hatte einen Namen gehört, und auch Helen Winter hatte ihn verstanden, und der Name war von einer Frauenstimme gerufen worden. Helen wusste nicht mehr, was sie noch denken sollte. Was sie hier erlebte, überstieg ihr Begriffsvermögen.
In den folgenden Sekunden geschah nichts. Nur die Stille blieb, die bald darauf von einem Geräusch durchbrochen wurde, das außerhalb des Hauses und im Garten aufklang.
Waren das Schritte? Kam jemand näher? Schlich er durch den Garten?
Dann hörten sie auf.
Wieder wurde es still.
Kurze Zeit danach klang wieder die Frauenstimme auf. Und sie sprach mit der Kreatur.
»Hast du mich nicht gehört? Du sollst zurückkommen, Igor, und das sofort!«
Helen hörte die Antwort. Keine normale. Es war ein jaulender Laut, und das Untier schüttelte dabei den Kopf. Für Helen stand die Situation auf des Messers Schneide. Noch einmal jaulte der Werwolf.
»Komm endlich!«
Der scharfe Befehl war auch von Helen gehört worden. Und das reichte dem Untier. Es legte den Kopf in den Nacken, schüttelte ihn und riss sein Maul weit auf. Aus der Kehle drang ein zischendes Geräusch. Hätte nur hoch der Dampf gefehlt, aber der folgte nicht. Stattdessen warf sich das Tier mit einer schnellen Bewegung zurück und verschwand durchs Fenster nach draußen.
Helen hörte einen dumpfen
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