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167 - Tor in die Vergangenheit

167 - Tor in die Vergangenheit

Titel: 167 - Tor in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Trockenrotgrundes zusammenhängen. Gilam'esh seufzte: Wenn ihm die Schöpfer in ihrem manchmal abwegigen Humor für seine Reifeprüfung auferlegt hatten, einen zweiten Geist in seinem Kopf zu ertragen, dann würde er eben einen zweiten Geist ertragen. Irgendwie würde er… musste er es schaffen…
    Unruhig, aufgewühlt und verwirrt wälzte er sich noch eine Zeitlang im Gras hin und her. Irgendwann übermannte ihn die Erschöpfung und er schlief ein. Leiser Singsang weckte ihn Stunden später. Er schlug die Augen auf, drehte sich auf den Bauch und stützte sich auf die Ellenbogen. Finsternis herrschte noch. Der Himmel musste wohl bewölkt sein, denn kein Stern war zu sehen, keiner der beiden Monde.
    Der Gesang drang aus dem Tal zu ihm herauf. Schön war er; vielstimmig, melodiös und fröhlich – einfach schön. Er lauschte und fühlte, wie es warm wurde in seiner Brust. Wer sang dort unten?
    Gilam'esh wollte es wissen. Er stand auf, band sich das Netz um Hüfte und Brust und steckte den Dreispieß durch die Netzmaschen auf den Rücken. Vorsichtig tastete er sich durch das hohe Gras und an Buschhainen entlang. Es war so finster, dass er nicht einmal seine Hand vor den Augen erkennen konnte. Als er gegen einen Baum stieß, zog er den Dreispieß vom Rücken und streckte ihn vor sich aus, damit die Spitzen ein Hindernis berührten, bevor er dagegen lief. Doch auch das funktionierte nicht lange – irgendwann gelangte er in ein steileres Hangstück, stolperte, stieß sich das Knie an einem hohen Stein wund und schlug lang im Gras hin.
    Er blieb liegen und lauschte in die Finsternis. Der Gesang war jetzt deutlicher zu hören. Und plötzlich wusste er, woher er ihn kannte: Es war in seiner Kindheit gewesen, am Tag, als der Hochrat seinen zweihundertfünfzigsten Umlauf vollendete und feierte. Die ganze Stadt war voller Hydree aus allen Ozeanstädten der Ditrydree gewesen. Alle überbrachten Ardi'bud Segenswünsche und Geschenke.
    Auch die Hauptstadt der Ikairydree hatte eine Festgesandtschaft nach Tarb'lhasot geschickt. Das kleinste der drei Hydreevölker auf dem Rotgrund war feinsinnig und musisch veranlagt.
    Damals, zu Ardi'buds zweihundertfünfzigsten Umlaufsfeier, hatten sie ihre Segenswünsche singend vorgetragen, unten in der Zentrumskuppel vor Tausenden von Hydree. Viele fingen damals an zu tanzen.
    Der Gesang dort unten im Tal klang nicht so laut und nicht so mächtig wie die Festhymne damals, aber der Stil war unverwechselbar: Singende Ikairydree liefen dort unten vorbei.
    Gilam'eshs Herz machte einen Sprung. Endlich nicht mehr allein mit der Stimme im Kopf! Er stand auf und blickte Richtung Tal. Nichts zu sehen. Hatten sie denn keine Lichter dabei? Vielleicht waren die Grashalme einfach zu hoch.
    Mit dem Dreispieß durch die Finsternis stochernd, stieß er auf den nächsten Baum. Er kletterte bis zum Wipfel hinauf.
    Und tatsächlich, von dort oben aus sah er sie: Eine Karawane aus grünlichen Lichtern bewegte sich dort unten. Was hatten sie wohl in der Finsternis auf Trockenrotgrund zu suchen? Die scheuen Ikairydree waren dafür bekannt, dass sie ihre Städte in den Meeren des Südens und Ostens nur verließen, wenn es unbedingt nötig war.
    Gilam'esh stieg vom Baum. Das Schweigegebot untersagte ihm nur Kontakte mit Angehörigen des eigenen Volkes. Mit Fremden jedoch durfte er sprechen, wenn auch nur das Nötigste. Über die Reifeprüfung zum Beispiel durfte er kein Wort verlieren. Antworten auf Fragen durfte er geben. Die Mütter und Väter des alten Reiferituals hatten es so eingerichtet, dass ein Kandidat nicht unhöflich werden musste, während er durch die Schrecken des Trockenrotgrundes ging.
    Gilam'esh sprang ins Gras. Wieder lauschte er – schon kam ihm der Gesang leiser, entfernter vor. Er musste sich beeilen; die Ikairydree zogen schon weiter ins Landesinnere. Ohne Licht jedoch würde er sie nicht einholen. Er formte die Hände vor seinem Mund zu einem Trichter und begann Zisch- und Zirplaute auszustoßen. Zugleich tastete er mit seinem Geist den Grashang in seiner Umgebung ab.
    Nicht lange, und ein gelblicher Lichtfunke stieg links von ihm nach oben, ein zweiter folgte, und nach ihm ein dritter und vierter. Die Lichtfunken sammelten sich um Gilam'esh, und während sie vor ihm über den Grasähren kreisten, tauchten immer weitere auf. Ein ganzer Schwarm von Lichtfunken brummte schließlich um ihn herum.
    Es waren Sharyllen, fingerlange Lebewesen mit Facettenaugen, vier Flügelpaaren und Chininpanzer.

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