167 - Tor in die Vergangenheit
müsst kämpfen…!«
Du Narr!, fauchte die Stimme in seinem Kopf. Er brach zusammen, als hätte ihm jemand die Beine weg geschlagen.
Warum willst du sterben, verdammter Narr…?
***
Nach und nach war Matthew klar geworden, dass der junge Fischbursche vor
ihm
floh. Eine Datenbank, die sich seinem Nutzer zu entziehen versuchte? Matt erkannte, dass mehr dahinter steckte, als er vermutet hatte. Also hielt er sich zurück und beschränkte sich zunächst aufs Beobachten.
Er versuchte einzelne Gedankengänge aus Gilam'eshs Geist zu erhaschen. Wie jemand, der einen Dokumentarfilm über ein unbekanntes Land studierte, versuchte er die Sache anzugehen: neugierig, sachlich, möglichst distanziert.
Doch das funktionierte nicht lange. Die Angst des Anderen, verrückt zu werden, schockierte Matt. Gilam'eshs Verdacht, er, Matt Drax, könnte Bestandteil irgendeiner Prüfung sein, erschütterte seine These von der objektiven Datenbank, die man jederzeit wieder verlassen konnte. Und als die Hydree, die Gilam'esh in Gedanken »Patrydree« nannte, auf die harmlosen Sänger losgingen, begann er zu ahnen: Das, was er gern für ein rein virtuelles Geschehen halten würde, könnte sich als blutiger Ernst entpuppen.
Die Angreifer waren in der Überzahl. Eine mindestens dreifache Übermacht, schätzte Drax. Und trotzdem machte Gilam'esh Anstalten, in den Kampf einzugreifen. Reiner Selbstmord! Das Bewusstsein seiner Ohnmacht stürzte Matt in Verzweiflung. Schon forderte der junge Hydree die flüchtenden Sänger zum Kampf auf und stürmte selbst los.
Seine Waffe zuckte durch Drax' Blickfeld, ein altertümlich wirkendes Gerät, das er, wäre er auf der Erde, für eine zu kurze Mistgabel aus einer Kunstschmiede gehalten hätte.
Du Narr! Mit aller Schärfe, zu der sein Geist fähig war, fuhr Matt den anderen an. Zugleich konzentrierte er sich auf seine Beine. Vielleicht half die Todesangst seiner Willenskraft, über ihre Grenzen zu springen, jedenfalls glaubte er die Beine des anderen für einen Moment so deutlich zu spüren, als wären es seine eigenen. Mitten im Lauf riss er sie hoch, und der Körper, der nicht seiner war, stürzte. Warum willst du sterben, verdammter Narr…?
Auf einmal lag er auf dem Rücken. Gilam'esh war starr vor Entsetzen, Drax beflügelt von seinem unerwarteten Erfolg.
Umdrehen…! Durch die Augen des anderen sah er die Umrisse von Flüchtlingen und Verfolgern. Zwei oder drei würden zwangsläufig über den Körper des Halbwüchsigen stolpern. Der Busch! Wälz dich unter den Busch! Und siehe da: Gilam'esh, in Panik nur noch von Reflexen gesteuert, gehorchte. Er wälzte sich durch das Gras, bis er unter dem Geäst eines großen Busches lag. In der Vertiefung rund um den Hauptstamm kauerte er sich in eine Erdkuhle.
Links und rechts rannten Flüchtlinge und Verfolger vorbei.
Einer der zartgliedrigen Hydree, die Gilam'esh in Gedanken
»Ikairydree« nannte, ging neben dem Busch zu Boden. Drax konnte sein Gesicht nicht sehen, dazu war es noch zu dunkel, doch er hörte den armen Kerl stöhnen. Jemand riss einen Spieß aus seinem Rücken. Der Schwerverletzte schrie auf. Und die ganze Zeit, während rechts und links Schritte vorbei stapften und Kampflärm und Triumphgeschrei kein Ende nehmen wollten, röchelte der Sterbende neben dem Busch. Ein Albtraum!
Gilam'eshs verkrampfter Körper zuckte in Weinkrämpfen.
Ganz ruhig. Matt Drax versuchte tröstende Impulse in das Bewusstsein des anderen zu senden. Tief atmen, ruhig und tief, so ist es gut…
***
Später, viel später entfernte sich das Triumphgeschrei.
Gilam'esh kroch aus der Deckung. Er schloss die Augen und schüttelte sich. Schon wieder war es geschehen, schon wieder hatte er sich selbst gesehen! Wie er lief, wie er stolperte, wie er sich unter den Busch wälzte – als würde er über seinem eigenen Körper schweben und seine Schuppen, seinen Scheitelkamm und den entsetzten Blick seiner Augen beobachten können. Ein, zwei Atemzüge lang nur, aber es hatte gereicht, um ihn zu schockieren; mehr fast als der Angriff der Barbaren.
Er blinzelte. Noch keine Spur von Lichtbeginn am Himmel.
Dafür sah er die Fackeln der Patrydree. Auf der anderen Seite des Flusses, vielleicht sechshundert Längen entfernt, wanderten sie in einer langen Reihe den gegenüberliegenden Berghang hinauf. Auch einige grünliche Lichtschimmer aus erbeuteten Kombactern entdeckte er darunter. Er tastete die Umgebung des Busches ab – der tote Ikairydree lag nicht mehr an der Stelle,
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