1677 - Durchgang zur Spiegelwelt
kurzen Kommandos. Es war eine Wunderwelt der Farben und der Geometrie - für sie, die endlich sehen konnte. Hätte sie ihre eigene Mutantengabe nur besser verstanden ... „Voltago!" mahnte die Frau. „Nur noch eine Minute."
Der Kyberklon drehte um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
Viel zu langsam. Wir schaffen es nicht.
Voltago erhöhte das Tempo ein wenig; doch sie war sicher, daß er im Quecksilbersee am Ende seiner Möglichkeiten angekommen war.
Dreißig Sekunden.
Sie wußte nur, daß es so wenig war, weil sie den Zusammenbruch nahen fühlte. Dahinten irgendwo der Ausgang: In Milas Geist erwachte die Panik. Der immaterielle Korridor verwandelte sich in ein geschlängeltes Ungetüm. Das Ungetüm umfing sie von oben, von unten, von allen fünf oder sechs Seiten zugleich. Zwei! Zwei Seiten nur! Vorn und Hinten spalteten sich in mehrere Richtungen auf, und sie hatte Mühe, die richtige unter all den Möglichkeiten noch zu erkennen. „Voltago ... schnell!"
Entweder gab er keine Antwort, oder sie hörte nicht mehr. Mila sank immer tiefer in Verwirrung. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, weit entfernt das Prisma in einer der immateriellen Wände verankert zu sehen. Doch das war nicht möglich. So weit reichte der Blick nicht, schon gar nicht in diesem Zustand.
Mila wurde übel. Schwester. Ich brauche dich! Ihre Hände verzerrten sich, flatterten vom Quecksilber zerdrückt um den Körper und hüllten ihn völlig ein. Voltago verwandelte sich von einem schwarzen Schemen in ei- .ne Gestalt, die kurz mit dem Quecksilber verschmolz, dieselbe Konsistenz wie die des Sees annahm und in unzählige Tropfen auseinanderfiel.
Nein! Nein, das darf nicht geschehen. Nadja, komm zu mir. Aber das geht nicht, weil du dich nicht bewegen kannst.
Mit aller Macht kämpfte Mila gegen Brechreiz. Im Augenblick wäre das fatal ohne funktionierende Anzugreinigung.
Und dann, eine Ewigkeit später, waren sie durch. Mila spürte Nadja wieder. Ihre Panik legte sich so schnell, wie sie gekommen war. Der Schweiß in ihren Handflächen trocknete rasch, ebenso ihre feuchte Stirn, und den trockenen Mund benetzte sie mit Speichel. „Wir müssen es noch einmal versuchen, Mila", forderte Voltago. „Ja. Gib mir fünf Minuten Zeit."
Mila spürte, wie in ihrer linken Schulter der Aktivatorchip Schwerstarbeit verrichtete, wie Lebensenergie in kurzen Schüben ihren gesamten Körper durchpulste. Nach Ablauf der Frist bewegten sie und der Kyberklon sich wieder hinunter. Alles lief wie beim ersten Versuch ab - nur daß sie diesmal etwas weiter kamen. Die Spindel jedoch fanden sie nicht.
Voltago dehnte die Suche bis zum letzten Augenblick aus. Und wieder überschritten sie die Frist von viereinhalb Minuten um mindestens dreißig Sekunden. „Ich kann das nicht ewig mitmachen", flehte sie. Mila spürte, daß sie sehr viel Kraft verloren hatte; sowohl Konzentration als auch Zähigkeit. „Wir machen einen letzten Versuch. Wir nutzen unsere viereinhalb Minuten komplett. Wenn wir innerhalb dieser Zeit die Spindel gefunden haben, bringst du mich irgendwie wieder zurück. Wenn nicht, dann haben wir keine Chance."
Der Kyberklon zögerte eine Weile. „Du weißt, auf was du dich einläßt."
„Sicher."
„Perry Rhodan wird mir nicht verzeihen, wenn ich dich wahnsinnig zurückbringe. Eine Mutantin mit irreparabel geschädigtem Gehirn nützt keinem."
„Seit wann kümmerst du dich um Perry Rhodan?"
„Du siehst die Dinge falsch."
Voltago sagte kein Wort mehr. Trotz seiner Bedenken setzte er sich gemeinsam mit Mila in Bewegung. Sie war sicher, daß er den Vorschlag früher oder später selbst gemacht hätte; weil es die einzige Möglichkeit war. Zum drittenmal drangen sie ins Labyrinth von Tornister vor, und diesmal schwamm Voltago weiter als vorher durch die Quecksilbersubstanz. Mila warf auf all die wundersamen Formen immer nur einen kurzen Blick. Und dann, völlig unvermutet, hatte sie erneut diese seltsame Empfindung, daß sie weit entfernt die Spindel sehen konnte. Da es egal war, in welche Richtung sie sich wandten, dirigierte sie Voltago durch einen gebogenen Gang direkt ans Ziel. Vier Minuten.
Zehn Sekunden. „Der Raum hinter der Wand", stieß sie atemlos hervor, weil sie vor lauter Furcht nicht mehr klar denken konnte. „Schnell. Ich spüre es schon."
Für ihre Augen wurde die Wand vollkommen durchsichtig, bevor Voltago die Öffnung durchschwömmen hatte. Und dort, aus der Wand, ragte in der Tat die Spindel. „Da ist
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