1682 - Das Blutschiff
gesucht.«
»Das weiß ich nicht.«
»Du wirst es bald wissen, Mutter. Ich schaue mich mal um, dann sehen wir weiter.«
Kathy Lester sah ihrem Sohn ins Gesicht. So hatte sie es auch getan, als er noch ein Kind gewesen war. »Gib auf dich acht, Junge. Ich habe das Gefühl, dass es noch nicht vorbei ist. In unserem Ort verbirgt sich etwas Unheimliches.«
»Das werden wir sehen.«
»Glaube es mir, mein Junge.«
»Okay, ich ziehe mich um. Aber ich werde Sarah und Kevin nicht deswegen wecken. Es reicht, dass du Bescheid weißt. Außerdem bin ich rasch wieder zurück. Wir leben schließlich nicht in einer Großstadt.«
»Gut, mein Junge.«
Mike beugte sich tiefer und küsste seine Mutter auf die Stirn. Dass er ihre Aussagen nicht ernst nahm, stimmte nicht. Er würde sich schon umschauen und das Dorf durchsuchen. Dass ihm die sechs Fremden über den Weg laufen würden, daran konnte er nicht glauben. Aber er würde es schon noch herausfinden…
***
Frau und Sohn hatten von seiner Umziehaktion nichts bemerkt. Mike Lester trug jetzt eine dunkle Hose und ein ebenfalls dunkles Hemd, das weit geschnitten war. Sicherheitshalber hatte er sich auch eine Waffe mitgenommen. Es war ein beidseitig scharf geschliffenes Fischermesser, das durch einen Körper ging wie durch Butter. Vor der Haustür wartete er. Diesmal glitt sein Blick nicht zum Meer hin, sondern in den kleinen Ort hinein. Der Wind wehte kaum, was auch selten war, und so nahm er den Geruch der kleinen Räucherfabrik jenseits der Häuser wahr. Sie war nur zu riechen, wenn der Wind fast eingeschlafen war.
Er schaute sich um. Es gab keine breiten Gassen. Nur Wege, die zwischen den Häusern herführten und auch nicht asphaltiert waren.
Eine seltsame Stille lastete über den Häusern. Es konnte auch sein, dass nur er sie als seltsam empfand und sie eigentlich völlig normal war. Da hatte er sich vielleicht von den Aussagen seiner Mutter zu stark beeinflussen lassen. Eine Taschenlampe hatte er ebenfalls mitgenommen. Sie hielt er noch in der Hand, ohne sie eingeschaltet zu haben. Er überlegte, wie die Fremden wohl vorgegangen waren, vorausgesetzt, seine Mutter hatte sich nicht getäuscht. Wenn sie durch den kleinen Ort gelaufen waren und die letzten Häuser hinter sich gelassen hatten, hätten sie den Dünenweg sehen müssen, der einige Hundert Meter ins Landesinnere führte und dann in einer schmalen Küstenstraße mündete, die nicht den Hauptverkehrsweg bildete, sondern mehr ein Weg für Wanderer war. Er hatte lange genug vor dem Haus gestanden und machte sich nun auf den Weg. Eigentlich hatte er locker sein wollen, aber das bekam er nicht in den Griff. Die Erzählungen seiner Mutter hatten bei ihm schon Spuren hinterlassen. Der Ort lag in nächtlicher Ruhe. Hier vertraute jeder jedem, und deshalb waren die meisten der Fenster nicht geschlossen. Frische Luft und Durchzug waren gewünscht. Nach einigen Metern schaltete Mike Lester die Taschenlampe an. Ihr blasser Kreis tanzte über den Boden, wo Mike nach Spuren suchte, die von den fremden Gestalten hinterlassen worden waren.
Er fand keine. Zudem war dies schlecht möglich, weil der Untergrund steinig war. Dazwischen schauten immer wieder einige Grasbüschel hervor, deren Grün im Licht der Lampe eine geisterhaft bleiche Farbe angenommen hatte. Fußabdrücke waren nirgends zu sehen. Je weiter er ging, umso mehr schwanden seine Bedenken und umso stärker ging er davon aus, dass sich seine Mutter geirrt hatte. Sie war schließlich recht alt. Da wurden viele Menschen wunderlich, obwohl er davon ausging, dass seine Mutter davon verschont geblieben war, denn im Denken war sie noch immer ziemlich fix und manchmal hielt sie auch noch das Zepter im Hause Lester in den Händen.
Aus den Häusern hörte er nichts Verdächtiges. An das Schnarchen störte er sich nicht, manchmal leuchtete er an den Hauswänden entlang und besonders dorthin, wo sie bis zum Boden reichten.
Auch da war nichts Verdächtiges zu sehen, was ihn immer mehr beruhigte. An eine Rückkehr dachte er noch nicht. Mike wollte bis zur kleinen Räucherei laufen und auch ein Stück des Weges gehen, der dort begann.
Er kannte sich aus. Zwischen den Dünen gab es einige gute Verstecke. Zwar konnte er sich nicht vorstellen, warum man sich dort verstecken sollte, aber er wollte sein Gewissen beruhigen und seine Mutter nicht anlügen, wenn er wieder zu ihr zurückkehrte.
Und er ging weiter. Die letzten Häuser ließ er hinter sich. In einem lebte eine Familie, die
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