169 - Der Vampir mit der Maske
meinen Revolver und wandte mich den Schritten zu, aber da kam kein Feind, sondern Mr. Silver.
»Tony! Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees! Ich glaube, dort werden wir gebraucht!«
Wir rannten den länglichen See hinunter. Der Ex-Dämon erwähnte ein Mädchen in einem auffallend roten Kleid. Sie schien sich vor ihm gefürchtet zu haben, war über den Rasen gelaufen und dadurch nicht an mir vorbeigekommen.
Drüben glaubte Mr. Silver sie dann mit jemandem kämpfen gesehen zu haben. Es war besser, anzunehmen, daß der Vampir sie gestellt hatte, und darauf zu reagieren.
Wir bogen um die weite Krümmung des Sees, der aus der Vogelperspektive die Form eines Wals hatte. Ich entdeckte wenig später einen roten Stofffetzen und vier Schritte weiter wieder einen.
Aber wo war das Mädchen, wo der Vampir? Hatte er uns kommen sehen und sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht? Und das Mädchen? Hatte er es mitgenommen?
Wir liefen dorthin, wo Mr. Silver den roten Stoff zum letztenmal leuchten gesehen hatte. Kurz davor lagen Damenschuhe auf dem pferdehufzerhackten weichen Boden.
Wir trennten uns, suchten verbissen nach dem Mädchen. Schwer lag der Colt Diamondback in meiner Faust.
Es durfte keine Gnade für Vampire geben, niemals. Wer sie verschonte, ihnen das Leben ließ, unterschrieb damit sein eigenes Todesurteil.
Wir zogen Kreise, schauten hinter jeden Baum, jeden Strauch - und auch nach oben, denn auch dorthin konnte sich der Blutsauger zurückgezogen haben.
Bereits nach ganz kurzer Zeit mußten wir einsehen, daß es dem Vampir gelungen war, sich abzusétzen, bevor wir ihm gefährlich werden konnten.
Und was war mit dem Mädchen geschehen? Diese Frage loderte wie brennendes Öl in meinem Kopf.
***
Wallace Carrera putzte sich die Zähne, spuckte die milchige Wasserfontäne, vermischt mit Zahncreme, in das Waschbecken, rasierte, wusch und kämmte sich.
Als er eine Viertelstunde später die Stufen hinunterstieg, vermißte er die vertrauten Geräusche aus der Küche, und auch die angenehmen Düfte. Nanu, dachte er. Hat Tyne verschlafen?
Er betrat die Wohnküche, und Tyne war tatsächlich nicht da. Der Tisch war nicht gedeckt, dey E-Herd war kalt, das Licht der doppelten Filterkaffeemaschine leuchtete nicht.
Wallace Carrera wandte sich um und ging bis zur Treppe zurück. Er legte die Hand auf den dicken Holzpfosten und rief nach oben: »Tyne! Es wird Zeit, daß du aus den Federn kriechst! T-y-n-e!«
Er begab sich wieder in die Küche und übernahm Tynes Arbeit, das war für ihn kein Problem. Als ihn seine Frau sitzenließ, lernte er kochen, bügeln, Wäsche waschen - einfach alles, was eine tüchtige Hausfrau können muß.
Als Tyne 14 geworden war, übernahm sie die Zubereitung des Frühstücks. Heute war nach langer Zeit wieder einmal Wallace Carrera dran.
Das machte ihm nichts aus, da er aber schon ein bißchen aus der Übung war, hätte er das lieber gestern abend schon gewußt, denn dann wäre er etwas früher aufgestanden.
Er hatte die Küchentür aufgelassen und rief immer wieder Tynes Namen. Unmöglich, daß sie das überhörte, aber sie kam nicht herunter.
Es mußte ihr schlecht gehen, wenn sie sich nicht blicken ließ. Carrera unterbrach seine Arbeit und trat in die Küchentür. Er lauschte und hörte außer dem Gurgeln des Wassers, das durch die Filtermaschine lief, kein Geräusch.
Er mußte nach seiner Tochter sehen, soviel Zeit mußte sein. Vielleicht brauchte sie einen Arzt. Oder… vielleicht war sie gar nicht zu Hause.
In dem Fall hätte sie ihm aber eine Nachricht hinterlassen können. Auch ein kurzer Anruf hätte genügt, nur eine kleine Information.
Sie war 22 Jahre alt, er machte ihr keine Vorschriften mehr, wollte nur noch wissen, wo sie war. Wenn sie ihm das irgendwie mitteilte, machte er sich keine Sorgen.
Er stieg die Stufen hinauf, erreichte Tynes Zimmer und lauschte wieder. Drinnen war es so still, als wäre Tyne nicht daheim, trotzdem klopfte er.
»Tyne?« Gleichzeitig drehte er den Türknauf und trat ein.
Tyne war da.
Aber wie!
Entsetzlich sah sie aus, mit dunklen Ringen um die Augen, kraftlos, krank, eingefallen, leer - blutleer ! Wallace Carreras Herz krampfte sich zusammen.
Ihre Augen waren offen, der Blick zur Decke gerichtet. »Um Himmels willen!« stieß Carrera erschrocken hervor. »Tyne, was ist mit dir? Was hast du?«
Unendlich langsam drehte sie den Kopf und schaute ihren Vater unglücklich an. »Ich kann nicht aufstehen, Dad.«
»Du mußt ja nicht. Wenn du
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