169 - Der Vampir mit der Maske
um einen vom rechten Weg abgekommenen Sünder auf den Pfad der Tugend zurückzubringen.
So manches Abenteuer hatte Pater Severin mit mir bestritten. Als ich bei ihm war, sprachen wir darüber und schwelgten in Erinnerungen.
Etwas riß mich unvermittelt aus meinen Gedanken - eine Bewegung! Über mir! Mein Kopf ruckte hoch, und mir war, als hörte ich das leise Flattern von Flügeln.
Mein Puls beschleunigte. Dort oben mußte der Vampir unterwegs sein, in Gestalt einer großen Fledermaus. Aufgeregt suchte ich die Schwärze des Himmels ab.
Ich konnte den Blutsauger nicht sehen. Die Schwärze der Nacht schützte ihn vor meinen Blicken. Ich hielt den Colt Diamondback mit beiden Händen im Anschlag, aber die flatternden Geräusche verloren sich über den hohen Bäumen und waren bald nicht mehr zu hören. Ich hätte viel darum gegeben, das Ziel dieses Fluges zu kennen.
***
»Tyne!« entfuhr es dem jungen Mann.
Sie stand tatsächlich dort draußen auf dem Balkon - im zweiten Stock.
Sie war verrückt, an der Fassade hochzuklettern. Es war möglich, denn die Balkone waren so angeordnet, daß man von einem den nächsten erreichen konnte, aber Larry Waite hätte nie gedacht, daß Tyne Carrera so etwas wagen würde. Das paßte nicht zu ihr. Sie war mehr auf Sicherheit bedacht.
Der Wind spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, hob es hoch und warf es ihr über das blasse Gesicht. Sie strich es nicht zur Seite, ließ es einfach wehen.
Mit dem nächsten Windstoß flatterte das volle Haar hinter ihrem Kopf, und sie lächelte ihn mit geschlossenen Lippen an. Nicht so freundlich wie früher, ein wenig kühl und distanziert, aber Larry Waite war glücklich, sie zu sehen, er war geradezu verzückt.
Aufgeregt eilte er zur Balkontür und riß sie auf. »Tyne! Gott, wie ich mich freue, dich zu sehen! Aber du hättest nicht über die Balkone klettern sollen.«
»Es war kinderleicht«, antwortete Tyne mit einer fremd klingenden Stimme, aber das fiel Larry nicht auf. Zu sehr wurde er von der Freude übermannt.
»Du hättest trotzdem abstürzen können«, sagte Larry vorwurfsvoll.
»Ich werde es nie wieder tun«, versprach Tyne. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid. Nie wäre Larry auf die Idee gekommen, es mit einem Totenhemd zu vergleichen, aber dafür hätte man es halten können. »Läßt du mich rein?« fragte das blasse Mädchen.
»Aber natürlich.« Larry griff nach ihrer Hand und zog sie in sein Apartment.
Kalt war ihre Hand, aber das schrieb er der Kühle der Nacht zu.
»Ich bin ja so froh, daß du zu mir gekommen bist.«
»Und ich bin dir dankbar, daß du mich nicht abgewiesen hast«, antwortete Tyne.
»Dich abgewiesen?« Er lachte. »Nie im Leben würde ich so etwas tun. Du hast mir verziehen, nicht wahr? Bestimmt hast du das, sonst wärst du nicht zu mir gekommen. Wir wollen nie mehr an diese dumme Sache denken. Sie ist begraben und vergessen -für immer.« In seiner übergroßen Freude hätte er ihr beinahe von Cleos Anruf erzählt und davon, wie er sie abblitzen ließ, aber dann schwieg er lieber, um keinen Mißton aufkommen zu lassen. Tyne war hier, und nur das war wichtig für ihn.
Hastig schloß er die Tür, und als er sich umwandte, lächelte ihn Tyne wieder so sonderbar an. Er hatte den Eindruck, daß das Lächeln ihre kalten Augen nicht erreichte, aber das mußte er sich einbilden.
Tyne Carrera war noch nie ein kaltes, gefühlloses Mädchen gewesen. Larry ging auf sie zu. »Hallo, Liebes!« sagte er mit der ganzen Zärtlichkeit, die er für sie empfand. »Ich wußte, daß du mir eines Tages vergeben würdest, aber ich wagte schon nicht mehr zu hoffen, daß es so bald sein würde. Du bist wunderbar, und ich liebe dich.«
Er nahm ihr wächsernes kaltes Gesicht zwischen seine Hände und küßte ihre kalten Lippen.
»Du hättest dich wärmer anziehen sollen«, sagte er.
»Ich hatte gehofft, du würdest mich wärmen«, erwiderte Tyne.
Er strahlte, denn er wußte, was sie damit meinte. »Okay«, sagte er glücklich und führte sie ins Schlafzimmer.
Tyne legte sich aufs Bett, und er küßte sie mit aller Leidenschaft.
Sie drehten sich auf dem breiten Bett. Tyne war jetzt über ihm, ihr langes schwarzes Haar hing wie ein Vorhang zu ihm hinunter. Er strich es zurück, weil er ihrschönes Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen sehen wollte.
Ihre Lippen zuckten, während sie langsam den Kopf senkte. Er spürte kurz darauf ihre Zunge an seinem Hals, weich und streichelnd.
Auf diese Weise ließ sie ihn ihre
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