1690 - Die Schwelle zum Jenseits
widerlicher Gestank entwickelt, der tatsächlich nach Fäulnis und Verwesung roch.
Marcia erinnerte sich daran, dass sie noch vor Kurzem eine große Freude erlebt hatte. Sie war regelrecht euphorisch geworden. Das war nun nicht mehr der Fall. Jetzt hielt sie das krasse Gegenteil umfangen und sie kam sich vor, als hätte man sie aus allen Träumen gerissen, in denen sie so glücklich gewesen war.
Der Gedanke an Flucht kam ihr noch nicht. Sie wollte einfach nicht alles so schnell aufgeben, an das sie immer geglaubt hatte, und sah sich genötigt, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ihr widerfahren war. Warum hatte sich die Luft so verändert? Gab es im Jenseits zwei Seiten?
Lange dachte sie darüber nicht nach, bis sie eine Erklärung fand, über die sie sich erschreckte.
Es gab den Himmel – und es gab die Hölle!
Ja, das war es. Immer zwei Seiten. Das Gute und das Böse. Licht und Schatten.
Vorbei war es mit ihrer inneren Freude. Sie hätte nie gedacht, dass sie auch das andere erleben würde. Dabei hatte sie sich auf diesen Besuch gefreut. Sie hatte sich als Auserwählte angesehen, und nun war sie mit der andere Seite konfrontiert worden.
Was bezweckte der Unbekannte, der sie bisher geleitet hatte?
Zum einen nahm der widerliche Gestank zu. Und er beschränkte sich nicht nur auf die ungewöhnliche Bühne, er trieb ihr auch als unsichtbare Wolke entgegen, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn einzuatmen.
Sie sagte kein Wort. Sie presste die Lippen hart zusammen, atmete nur durch die Nase. Über ihren Rücken und über ihr Gesicht kroch eine Gänsehaut.
Auf der Bühne zum Jenseits breitete sich noch der wunderbare Blütenteppich aus. Sie begriff es nicht, denn genau von dort wehte ihr der Gestank entgegen.
Bevor sich Marcia näher mit diesem Gedanken beschäftigen konnte, geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatte, das allerdings schon logisch war, denn diesen Gestank hielt niemand aus. Kein Mensch und auch keine Blume.
Ihr Mund blieb vor Staunen offen, als sie sah, was da passierte. Die herrlichen Blumen, von einer schon überwältigenden Farbenpracht, verblassten. Keine Farbe hielt sich, und so schaute Marcia zu, wie eine Blume nach der anderen grau wurde und dann zu Staub zerfiel, der wie Puder dem Rasen entgegen fiel, der von der Veränderung auch nicht verschont blieb, denn auch seine grüne Farbe blieb nicht mehr bestehen. Die einzelnen Gräser nahmen das tote Grau an, bevor sie sich auflösten und ebenfalls als Asche am Boden liegen blieben.
Marcia Gitti hatte die Augen weit aufgerissen. Eigentlich wollte sie es nicht sehen, aber sie konnte nicht anders. Sie musste einfach hinschauen, und ihr Blick glitt tatsächlich über eine tote Welt, von der ihr noch immer der Gestank entgegenwehte.
Sie sprach nicht. Sie wusste auch nicht, was sie denken sollte. Es war einfach nur verrückt, was sie hier erlebte. Das konnte doch nicht wahr sein! So etwas war im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen – und doch hatte sie es erlebt.
Allmählich wandelte sich ihr Denken. Lange Zeit hatte sie darauf hingearbeitet, Kontakt mit dieser anderen Welt zu bekommen. Mit wohlfeinen Worten hatte man sie darauf vorbereitet, und das alles hatte sie akzeptiert, um ihrem Leben einen Kick zu geben.
Jetzt aber sah sie die Gegenseite.
Das Jenseits bestand nicht aus einem Meer aus Blüten. Es war auch kein Geist eines verstorbenen Verwandten erschienen, um sie in die Arme zu schließen. Alles, was sie sich vorgestellt hatte, war radikal ausradiert worden. Sie schaute auf eine Landschaft ohne Leben und dachte daran, dass sie eventuell einen Teilbereich der Verdammnis gesehen hatte.
Auch die Farbe des Himmels war nicht mehr die gleiche. Das Grau hatte sich ausgebreitet und alles übernommen.
Marcia wusste nicht, wie lange sie auf der Stelle gestanden hatte, aber etwas in ihrem Innern – und es war mit einer Stimme zu vergleichen – schickte ihr eine Warnung. Marcia wurde bewusst, dass sie sich hier an einem falschen Ort aufhielt.
Ich will hier weg!
Es war der Gedanke, der sie handeln ließ, und sie fuhr auf dem Absatz herum. Dabei bewegte sie sich etwas zu schnell, sodass sie ein Schwindel packte. Für einen Moment drehte sich diese fremde Welt vor ihren Augen, bis sie wieder zur Ruhe kam und sie das sah, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte.
Vor ihr standen zwei Mönche. Sie hatten sich von ihren ursprünglichen Plätzen gelöst und sahen aus, als wollten sie ihr den Weg versperren. Die Kapuzen
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