1690 - Die Schwelle zum Jenseits
bedeckten die oberen Gesichtshälften, und was Marcia sonst von ihnen sah, das kam ihr ebenso grau vor wie das furchtbare Bild auf der Bühne.
Sie schüttelte den Kopf und flüsterte: »Nein – oder …?«
Der Mönch, der sie hergebracht hatte, antwortete ihr. »Du wirst dieses Haus nicht mehr verlassen, wenn wir es nicht wollen. Du gehörst jetzt uns und auch ihm.«
»Ihm?«
»Ja, denn er hat dich ausgesucht. Er will dich an seiner Seite haben.«
»Und wer ist es?«
»Das wirst du noch erleben.«
Die Antwort schockierte sie, denn sie ließ einige Möglichkeiten zu. Ihr schwirrten Begriffe durch den Kopf, über die sie lieber nicht näher nachdenken wollte, und sie wurde von einer tiefen Angst erfasst.
»Was habt ihr mit mir vor?«
»Warte es ab.«
»Und dann?«
»Das bestimmt er!«
Wieder war dieser Begriff gefallen, mit dem sie nichts anfangen konnte. Es war ja nichts Konkretes, aber Furcht verspürte sie trotzdem. Es war der Augenblick, in dem sich ihre Gedanken überschlugen. Ihr schoss noch mal alles durch den Kopf, was sie erfahren hatte, und sie gelangte zu dem Schluss, dass sie etwas unternehmen und ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen musste.
Noch standen nur zwei Gegner vor ihr. Die beiden anderen lauerten im Hintergrund.
Marcia Gitti handelte aus einem Reflex heraus. Sie hörte sich selbst laut schreien, dann rannte sie vor und wuchtete ihren Körper gegen die Gestalt, die sie am Bahnhof abgeholt hatte.
Der Mann wurde überrascht. Er flog zurück, landete auf dem glatten Boden und Marcia sprang über ihn hinweg.
Jetzt hatte sie freie Bahn. Sie rannte los, denn sie musste die schmale Treppe erreichen. Die Angst um ihr Leben trieb sie an. Sie hörte sich keuchen und schreien zugleich, um sich den nötigen Schwung zu geben. Den brauchte sie, um dem Horror zu entkommen.
Es war dunkel. Es war deshalb auch gefährlich. Das bläuliche Licht zog sich dort zurück, wohin sie laufen musste, aber sie sah noch den Ansatz der Treppe.
Und das gab ihr Mut.
Marcia drehte sich nicht um. Das hätte sie nur wertvolle Sekunden gekostet. Sie setzte zu einem Sprung an, um gleich die dritte Stufe zu erreichen.
Das schaffte sie auch.
Dann aber rutschte sie weg!
Wieder drang ein Schrei aus ihrem Mund. Diesmal eine Folge des Erschreckens. Sie stieß noch mit der Fußspitze gegen eine Steinkante, dann wurde sie gestoppt und kippte einen Moment später nach hinten.
Über zwei Stufen hinweg würde sie fallen und dann hart auf den Untergrund stürzen.
Das geschah nicht.
Zwei Hände waren plötzlich da, die sie auffingen, und sie hörte ein grausam klingendes Lachen, und die ihr bekannte Stimme sagte: »Ihm kann keiner entkommen, keiner …«
Einen Moment später fuhr ein Schmerz durch ihren Nacken, dann überfiel sie die Schwärze und sie sackte im Griff des falschen Mönchs zusammen …
***
Beide hofften wir, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden und man uns nicht in die Irre geschickt hatte. Aber welchen Grund hätte dieser Luigi haben sollen?
Caribrese lag bereits hinter uns. Optisch trat eine Veränderung in der Landschaft ein. Die sanften Hügel der Weinberge zogen sich zurück. Die Gegend sah hier rauer aus. Felsgestein wuchs zu den ersten Bergen an, die weiter vor uns in den Himmel ragten, als wollten sie ihn berühren.
Unsere Sicht wurde freier. Ich saß auf der rechten Beifahrerseite und hielt Ausschau nach dem alten Kloster. Da kein Nebel herrschte, genossen wir die klare Sicht, und ich war es, der das Gemäuer als Erster entdeckte.
»Da ist es, Bill! Fahr mal langsamer.«
Mein Freund reduzierte das Tempo. »Wo?«
»Rechts.«
Er bremste. Wir hatten die Höhe des Gemäuers noch nicht erreicht, aber unsere Sicht war ausgezeichnet. Luigi hatte von einem Plateau gesprochen, und das traf auch zu. Man hätte den Standort auch als Felsplatte bezeichnen können. Von ihr stachen die Mauern in die Höhe, und aus der Entfernung sah das Kloster nicht zerstört aus. Luigi hatte auch von keiner Ruine gesprochen.
»Das ist die halbe Miete«, meinte Bill. »Jetzt müssen wir nur noch den Rest finden.«
»Den Weg?«
»Genau, John.«
Wir fuhren wieder an. Die Reifen hoppelten über die Unebenheiten des Weges hinweg. Wenig später entdeckte ich an der rechten Seite die Einmündung eines recht schmalen Pfads, der sich dem Plateau entgegen wand.
Wir kamen nur langsam voran. Ein Geländewagen wäre jetzt besser gewesen, aber woher nehmen und nicht stehlen. So verließen wir uns auf den BMW, den
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