1690 - Die Schwelle zum Jenseits
jedoch auf einer harten Unterlage, die beinahe so glatt wie ein Spiegel war, und da kam für sie nur der Steinboden des Klosters infrage.
Der Schlag hatte sie nicht in das Reich der Bewusstlosigkeit geschleudert, sondern nur für eine gewisse Weile außer Gefecht gesetzt, und diese Zeit hatte nicht lange angedauert. Sie war wieder da und die Schmerzen in ihrem Hals ließen sich ertragen.
Dass ihre Bewacher in der Nähe standen, hatte sie zwar nicht gesehen, sie ging aber davon aus. Deshalb wollte sie nicht zeigen, wie weit sie tatsächlich war.
Natürlich war die Angst vorhanden, was mit ihr geschehen würde. Zugleich stieg so etwas wie Hoffnung in ihr auf. Sie dachte wieder an den großen Unbekannten, dessen Name nie ausgesprochen worden war.
Die Mönche, oder wer immer sich hinter dieser Kuttenverkleidung verbarg, hielten sich in der Nähe auf. Marcia sah sie nicht, sie hörte sie nur, wenn sie sich unterhielten. Leider so leise, dass sie kein Wort verstand.
Wie ging es weiter?
Zunächst geschah nichts. So wurde Marcia mutiger. Sie öffnete jetzt die Augen und drehte zudem den Kopf, weil sie ihre Umgebung absuchen wollte.
Sie lag im Schatten, aber der Blick nach rechts zeigte ihr, dass die Bühne noch immer vorhanden war. Der Vorhang war nicht geschlossen.
Marcia ging davon aus, dass das einen Grund haben musste. Sofort dachte sie wieder an die geheimnisvolle Person, von der bisher nur gesprochen worden war. Das würde sich ändern. Irgendwann musste sie erscheinen, und dann würde sie sich um Marcia kümmern, was dieser gar nicht gefallen konnte.
Kurze Zeit später hörte sie Schritte. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis zwei Mönche in ihr Blickfeld gerieten. Beide näherten sich der Leinwand.
Warum?
Obwohl es nicht die bequemste Lage war, blieb Marcia in dieser Position liegen. Nur so konnte sie am besten verfolgen, was sich noch ereignen würde.
Die Männer gingen auf die Bühne zu, aber sie betraten sie nicht, denn sie stoppten kurz davor. Dabei machten sie den Eindruck von Menschen, die auf etwas warteten.
Lange mussten sie nicht stehen. Auf oder in der Bühne tat sich etwas. Das malte sich so deutlich ab, dass auch Marcia Gitti es sah.
Die tote Landschaft, dieses Grau in Grau, erfuhr eine Veränderung. Eine Gestalt tauchte dort auf, die sich so bewegte, als wäre es nichts Neues für sie, durch das Jenseits zu wandern.
Schon beim ersten Hinschauen hatte Marcia gesehen, dass es sich um einen Mann handelte. Für sie stand fest, dass es nur die Person sein konnte, von der gesprochen worden war. Der große und so mächtige Unbekannte.
Noch blieb er auf der Bühne, aber er stand bereits an deren Rand, denn die beiden Mönche verbeugten sich tief, um ihn willkommen zu heißen.
Der Ankömmling verließ jetzt die Bühne. Um die beiden Männer, die ihn erwartet hatten, kümmerte er sich nicht.
Er ging seinen Weg.
Und der führte ihn auf die am Boden liegende Marcia Gitti zu.
Marcias Herz schlug schneller. Dieser Unbekannte hatte ihr nichts getan, trotzdem empfand sie Angst. Dabei sah er nicht gefährlich aus, er trug auch keine Kutte, sondern war normal angezogen.
Ein Jackett, eine Hose, ein helles Hemd und Schuhe mit weichen Sohlen, denn beim Auftreten war nichts zu hören. Er näherte sich seinem Ziel beinahe lautlos.
Marcia hatte ihre Position leicht verändert und ihren Kopf wieder in die normale Stellung gebracht, sodass sie gegen die Decke schaute.
Erst als er dicht bei ihr war, hörte sie das leise Schleifen der Sohlen – und sie spürte ihn auch. Sehen wollte sie ihn nicht, und so hielt sie die Augen weiterhin geschlossen.
Als der Mann lachte, hatte sie Mühe, nicht zusammenzuzucken. Sie wollte so lange wie möglich schauspielern, was ihr nicht gelang, denn der andere war schlauer.
»Lass die Spielchen, Marcia. Ich weiß genau, dass du alles mitbekommst. So zu tun, als wärst du völlig von der Rolle, das zieht bei mir nicht.«
Marcia sah ein, dass sie durchschaut war. Sie tat das, was von ihr verlangt wurde, und öffnete die Augen. Ihr Blick fiel nicht mehr gegen die Decke, sondern in ein fremdes Gesicht, das über ihr schwebte.
Es war zwar nicht unbedingt hell in ihrer Umgebung, und doch reichte das Licht aus, um das Gesicht zu erkennen. Sie hatte sich alles Mögliche ausgedacht, wer dieser Mensch wohl sein könnte und ob er überhaupt ein Mensch war, aber dieser fast schon jungenhafte Ausdruck, den hätte sie nicht erwartet. Man konnte bei ihm von einem sympathischen
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