17 - Das Konzil der Verdammten
uns nicht gezeigt.«
»Da sie ja zugesperrt ist und niemand diesen Gang zwischen der Abtei und dem Frauenhaus benutzen kann, hat er es wahrscheinlich nicht für wichtig gehalten. Die ›verbotene Galerie‹ heißt sie jetzt, wie Bruder Sigeric mir erzählt hat.«
»Egal, wir müssen uns ein Bild davon machen und können uns nicht auf bloßes Hörensagen verlassen. Weißt du, wo sich diese geheimnisumwitterte Galerie befindet?«
»So ungefähr; Bruder Sigeric hat es mir beschrieben.«
»Dann muss es heute unsere allererste Aufgabe sein, sie uns anzuschauen.«
Fidelma schätzte an Eadulf sein räumliches Vorstellungsvermögen, das untrüglich war. Er brauchte nur ein Gebäude zu sehen und wusste gleich, wie die Räumlichkeiten darin sich zueinander verhielten, ohne sich die Sache von innen zu betrachten. Allein vom Erscheinungsbild der düsteren Außenmauern hatte er richtig geschlussfolgert, wie die einzelnen Gebäudeteile miteinander verbunden waren. So konnte er Fidelma rasch durch das große, jetzt aber leere Refektorium führen, vorbei an den Küchen und Vorratskammern. Niemand schien sich in diesem Teil der Abtei aufzuhalten. Er schaute prüfend in verschiedene Seitengänge, und sie gelangten in eine Halle, die voller Steinmehl war und in der einige Blöcke aus Kalkstein, ja sogar aus Marmor herumstanden. Auch lagen Maurerwerkzeuge hier und da verstreut, doch keine Menschenseele ließ sich blicken.
»Die Galerie muss am Ende der Halle beginnen, hinter den Türen dort«, erklärte Eadulf zuversichtlich.
Die Türen waren nicht verschlossen, und sobald Eadulf sie öffnete, tat sich vor ihnen ein langer Gang auf. Er war breit, wirkte aber schmal, denn auf jeder Seite trugen zehn Pfeiler eine gewölbte Decke, die gut fünfzig Fuß hoch war. Die Pfeiler waren wie große römische Säulen kanneliert und verjüngten sich nach oben. Gemauerte Bögen verbanden die Pfeiler miteinander. Dreißig Fuß über dem Boden dieses Bogenganges verlief rechts und links hinter den Pfeilern jeweils eine Galerie, deren Grundfläche sich in einer Ebene mit der Basis der Gewölbebögen befand. Im Zentrum jedes so geformten Bogens stand eine Statue, fünf insgesamt auf jeder Seite. Sie stellten augenscheinlich Krieger in den Rüstungen des antiken Rom dar. Der Fußboden des Ganges war mit Mosaiksteinchen ausgelegt, die verschlungene Muster bildeten, wie sie in Rom häufig vorkamen. Seinen Abschluss bildete ein großer Bogen, in den vormals Türen eingefügt waren, den jetzt aber Steinblöcke verstellten, die man offensichtlich erst vor kurzem dort aufgeschichtet hatte.
»Das sieht genauso aus, wie Bruder Sigeric es beschrieben hat«, sagte Eadulf, während sie den über hundert Fuß langen Korridor abschritten. »Diesen Weg hat man versperrt.« Sie blieben vor dem blockierten Durchgang stehen.
»Leodegar muss die Trennung der Geschlechter mit geradezu fanatischem Eifer betreiben«, bemerkte Fidelma nachdenklich. »Warum mag er Frauen so fürchten?«
»Meinst du, seine Haltung Frauen gegenüber entspringt aus
Furcht vor ihnen?«
»Wenn man jemandem seine Ebenbürtigkeit abspricht,
wenn man Frauen verunglimpft oder überhaupt Leute anschwärzt und verunglimpft, bedeutet das immer, man hat
Angst vor ihnen. Und das hier ist doch geradezu lächerlich,
Frauen von Männern trennen zu wollen, indem man Mauern
zwischen den alten Gebäuden errichtet. Was ich gesehen habe,
reicht mir jedenfalls.«
»Was hattest du geglaubt, hier zu finden?«
»Eigentlich wollte ich mich nur vergewissern, dass es so eine
Verbindung zwischen den Gebäuden wirklich gab. Anfangs
hatte ich sogar gedacht, es könnte sich um einen Geheimpfad
zwischen den beiden Klostergemeinschaften handeln. Auf den
Gedanken war ich verfallen, weil uns niemand die Galerie gezeigt, sie nicht einmal erwähnt hat, von Sigeric abgesehen.« Sie wandten sich um und traten den Rückweg an. Mit einem Mal hörte Eadulf ein Geräusch, ein leises Kratzen und
Scharren. Was es war, wusste er nicht, auch begriff er nicht,
warum er mit einem Satz zur anderen Seite des Ganges sprang
und einen Warnruf ausstieß. Fidelma, die vor ihm ging,
drückte sich an eine Säule.
Einen Moment später krachte etwas auf den Fleck, auf dem
Eadulf eben noch gestanden hatte, und zerbarst in tausend
Stücke. Ein großer Steinbrocken traf Eadulf mit Wucht an der
Wade. Es schmerzte furchtbar, er schrie auf, wankte einen
Schritt vorwärts und stürzte. Es schien ihm eine Ewigkeit,
währte aber nur wenige Sekunden.
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