17 - Das Konzil der Verdammten
verdächtigt wird. Mir brummte an dem Morgen mächtig der Schädel, und ich konnte beim besten Willen nicht erfassen, was da vor sich ging. Bruder Gebicca, der Apotheker, hat mir dann irgendetwas verpasst, sonst hätte ich es überhaupt nicht bis nach Hause geschafft.«
»Du hast in der Nacht tatsächlich nichts gehört oder gesehen?«, fasste Eadulf enttäuscht zusammen.
Guntram schüttelte den Kopf. »Wenn ihr gehofft habt, ich könnte euch mit Aussagen über den Tod des Abts dienen, dann seid ihr umsonst hierher gekommen. Ich war betrunken und habe alles verschlafen, das ist die reine Wahrheit.«
»Keine Reise ist umsonst, Guntram«, entgegnete Fidelma ernst.
»Ihr kennt nun meine Schwächen«, gestand er reumütig ein.
»Dass du sie als Schwächen erkannt hast, ist eine Stärke«, gab sie weise zu bedenken.
Nach einem kurzen Moment der Überraschung sagte er: »Du wärst die richtige Beichtmutter für mich, aber eine dankbare Aufgabe wäre das nicht. Ich glaube nicht, dass ich meine Gewohnheiten noch ändern kann. Meine Mutter sagt immer, ich würde es nie zu etwas bringen.«
»Und du glaubst ihr?«
»Sie ist eine starke Frau. In ihren Augen bin ich ein Versager. Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war. Ich bin der älteste Sohn, aber selbst wenn ich es versuchte, ich könnte nie ein würdiger Nachfolger meines Vaters sein. Schon als ich volljährig wurde, stand für meine Muter fest, dass ich es aufgegeben hätte, mich an meinem Vater zu messen.«
»Wir sollten uns immer nur an unseren eigenen Werten und Vorstellungen messen, nicht an denen anderer«, riet ihm Fidelma. »Ein jeder ist eine eigene Persönlichkeit.«
»Das sagt meine Cousine Radegund auch immer. Die Pest ließ sie als Waise zurück. Um nicht zu meiner Muter ziehen zu müssen, heiratete sie lieber. Dann ging sie ins Kloster. Da ist sie auch heute noch, frei von allen familiären Verpflichtungen. Ich beneide sie.«
»Sie heiratete Bruder Chilperic, nicht wahr?«
Guntram verzog den Mund. »Sehr gegen den Willen meiner Mutter. Aber das war, bevor Leodegar kam und die Dinge gründlich veränderte.«
»Ist das Zerwürfnis mit deiner Mutter der Grund, dass du dich hier mit deinen Kumpanen in der abgeschiedenen Burg vergräbst und lebst, wie es dir gefällt?«
»In Autun in der Nähe meiner Mutter und ihrer Gefolgsleute wohnen zu müssen, wäre das Letzte. Hier bin ich frei, kann jagen, trinken und …« Er hatte das Feingefühl, seine weiteren Gelüste nicht zu benennen.
»Ich verstehe«, sagte Fidelma. »Nur ist das nicht eine Flucht vor deiner Mutter, sondern vor deiner Verantwortung. Der toisech oder Stammesfürst zu sein, wie wir das Amt bei uns nennen würden, hat etwas mit Verantwortung und Rang und Namen zu tun.«
»Verantwortung? Was ist, wenn ich keine Verantwortung haben möchte?«
»Dann übergib doch dein Amt einem anderen«, schlug sie vor und dachte an die Gepflogenheiten in ihrem eigenen Land.
Kopfschüttelnd erwiderte er: »Ich bin der älteste Sohn. Wem sollte ich mein Amt übertragen können? Ich habe einen jüngeren Bruder, der irgendwo als ein frömmelnder Mönch lebt und kein Interesse an weltlichen Dingen hat. Meine Mutter hat ihn früher mit dem Spitznamen ›Benignus‹ gerufen. Das steht nicht nur für ›aus wohlgeborenen Kreisen‹, sondern auch für ›gut‹ und ›sanft‹. Und er war wirklich lammfromm. Ich habe ihn zwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen.« »Verzeih. Ich habe nicht an das Erstgeburtsrecht bei euch gedacht. Wenn du mich fragst, so halte ich das für einen schlechten Brauch.«
Bei ihr zu Hause hatte der Erstgeborene nicht automatisch das Erbrecht. Dort kam der derbhfine , der Sippenrat, zusammen, um den Stammesfürsten oder Kleinkönig, ja sogar den Hochkönig zu wählen. Söhne mussten nicht unbedingt den Vätern folgen. Brüder, Vettern und selbst Töchter oder Schwestern konnten das Amt übernehmen.
Sie zögerte, ehe sie eine weitere, völlig andere Frage stellte. »Tätigt deine Mutter manchmal auch Handelsabschlüsse mit Kaufleuten?«
Die Vorstellung belustigte ihn.
»Das würde mich wundern. Als Adlige hält sie das bestimmt für unter ihrer Würde.«
»Und abgesehen von Radegund, ihrer Nichte, verbindet sie wenig mit dem domus feminarum ?«
»Ehrlich gesagt, ich glaube, sie hasst die Äbtissin und sähe es lieber, wenn Radegund das Amt innehätte.«
Wieder draußen angelangt, sagte Eadulf: »Viel gebracht hat uns das ja nicht. Wir stehen immer noch vor der gleichen Frage: Wen von den beiden –
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