17 - Das Konzil der Verdammten
schauten ihm nach. Dann flüsterte Eadulf: «Du glaubst also, dass jemand aus der Kapelle, nachdem er vernommen hatte, wir würden dem Fall nachgehen, ins Zimmer gerannt ist und es durchsucht hat?«
»Warum sollte er?«, wandte sie ein. »Wenn es in dem Zimmer etwas Belastendes gab, hätte man es doch während der Woche, die seit dem Mord vergangen ist, verschwinden lassen können.«
Eadulf sah sie enttäuscht an. »Eine rätselhafte Geschichte«, gab er zu.
Sie lachte. »Schließlich sind wir hier, um Rätsel dieser Art zu lösen«, erinnerte sie ihn und drückte die Klinke nieder, die die Tür ins scriptorium öffnete.
In der Bibliothek saß nur eine einzige Person – ein junger Mann. Er hockte über eine Schriftrolle gebeugt, die auf dem Holztisch vor ihm ausgebreitet war. Bei ihrem Eintreten blickte er auf und erhob sich langsam und nervös. Fidelma wollte sich vorstellen, doch er winkte ab.
»Ich weiß, wer ihr beide seid. In der Kapelle gestern Abend war die Rede von euch.«
»Fühl dich nicht bedrängt, Bruder Sigeric«, ermunterte ihn Fidelma. »Wie wir hörten, warst du der Erste, der sah, was in Bischof Ordgars Gemach geschehen war. Du bist in der Abtei hier Schreiber, nicht wahr?«
Der junge Mann ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und legte mit aller Sorgfalt seinen Federkiel auf dem Schreibpult ab.
»Ich habe eine gute Handschrift«, sagte er, und es klang fast wie eine Entschuldigung. »Auch beherrsche ich Latein recht ordentlich, Griechisch einigermaßen, und von Hebräisch verstehe ich ebenfalls ein wenig. Das erklärt mein Amt als Schreiber für den Bischof.«
»Bist du Franke?«
»Ich bin Burgunde, bin in der Stadt hier geboren und aufgewachsen.«
»Gehörst du schon lange zur Abtei?«
»Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr.«
»Das heißt, wie lange?«
»Ich habe vierundzwanzig Lenze erlebt.«
»Also neun Jahre in der Abtei. Da musst du sie gut kennen«, überlegte Fidelma laut.
Der junge Mann zuckte mit den Achseln und schwieg. »Ich möchte meinen, so einen mysteriösen Tod wie den jetzt hat es in der Abtei zuvor nicht gegeben«, fuhr sie fort. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Und nun spielst du eine entscheidende Rolle in der Sache.« Er schreckte auf. »Was willst du damit sagen?« »Du bist ein Hauptzeuge.«
»Ich habe nichts gesehen.«
»Im Gegenteil, du hast eine Menge gesehen, schließlich hast du den Ort des Geschehens entdeckt.«
Trotzig streckte er den Unterkiefer vor. »Ich war nicht zugegen, als man den Abt aus Hibernia ermordete.« »Das haben wir auch nicht gesagt. Aber wir würden gern erfahren, was genau dich in jener Nacht zu Bischof Ordgars Gemach geführt hat. Es war kurz vor Tagesanbruch, heißt es.« Er holte tief Luft. »Ich habe bereits alles Bischof Leodegar erklärt.«
»Und jetzt wirst du es mir erklären.«
»Ich bin dort einfach vorbeigekommen …«
»Mitten in der Nacht?«, unterbrach ihn Fidelma. »Wo, von Bischof Ordgars Gemach aus gesehen, liegt deine Kammer?«
Einen Augenblick hatte es den Anschein, als wäre der junge Mann nicht gewillt zu sprechen.
»Die Zimmer der hospitia liegen im zweiten Stockwerk dieses Gebäudes«, half sie ihm. »Dann befinden sich die dormitoria gewiss im ersten Stock.«
»Als Schreiber habe ich eine eigene Zelle. Sie ist im zweiten Stock …«
»Und wo da genau?«, drängte sie.
»Auf der Ostseite des Gebäudes, das Fenster geht auf den Hof hinaus, der zwischen dem Gebäude hier und dem domus feminarum liegt.«
»Das erklärt nicht, weshalb dich dein Weg mitten in der Nacht an Bischof Ordgars Zimmer vorbeiführte.«
Er gab einen Stoßseufzer von sich und schien sich in sein Los zu ergeben. »Die Frauen hier wohnen getrennt von den Männern«, murmelte er.
Die Auskunft überraschte Fidelma. »Ich sehe keinen Zusammenhang zu dem Vorangegangenen.«
»Als der heilige Reticulus der erste Bischof hier war, oder der erste, von dem wir wissen, denn viele behaupten, vor ihm sei noch Amator gewesen, war das hier ein gemischtes Haus. Bischof Leodegar aber gehört zu denen, die die Auffassung vertreten, Mönche und Nonnen müssten voneinander getrennt leben. Geistliche haben sich ans Zölibat zu halten, wenn sie dem Neuen Glauben dienen wollen. Dabei hätten wir diesbezüglich doch eigentlich freie Wahl. Rom hat ja das Gebot noch nicht festgeschrieben.«
»Demnach bist du mit Bischof Leodegars Regelung nicht einverstanden? Du musst dich uns gegenüber nicht zurückhalten«, versicherte sie ihm. »Eadulf und ich fühlen uns nicht nur im Glauben
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