17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
viel, viel schlimmeres erwarten.“
Das Einsperren schien ihn nicht zu erschrecken. Ich erriet seine Gedanken; darum sagte ich:
„Wir meinen es mit euch nicht so gnädig, wie du denkst. Es wird euch nicht gelingen, euch selbst zu befreien.“
Er schwieg.
„Die Leiter ist nicht mehr da“, fuhr ich fort.
„Die Leiter? Wie? Wirklich?“ fragte er schnell und bestürzt. „Kennst du sie denn?“
„Ja, ich war bereits gestern in der Höhle. Wir stiegen durch die Eiche und wollten den Ort kennenlernen, aus welchem wir den Engländer heute zu befreien beabsichtigten.“
„Allah!“ rief er erstaunt.
„Wir befanden uns auch heute schon in der Höhle, als der Alim kam, um mit dem Inglis drin zu reden. Das magst du den andern erzählen, damit sie einsehen, wie wenig Hirn sie im Kopf haben.“
„Aber, Herr, so können wir doch nicht wieder aus der Höhle heraus!“ sagte er ängstlich.
„Das sollt ihr auch nicht.“
„So sollen wir drin elend umkommen?“
„Es ist kein Schade um euch.“
„Du hast uns aber doch versprochen, daß uns nichts geschehen soll!“
„Ja, und ich halte Wort. Wir selbst tun euch gar nichts. Ihr selbst habt der Höhle ihre grausige Einrichtung gegeben. Der Tod hat bisher in ihr gewohnt, und nun tragt also ihr selbst die Schuld, wenn ihr ihm in die Arme fallt.“
„Herr, das darfst du nicht tun. Wir müssen ja aufs jämmerlichste verschmachten!“
„Viele, viele andere sind ebenso jämmerlich erstickt. Wir krümmen euch kein Haar; aber wir bringen euch an den Ort, an welchem sich eure Opfer befanden. Was dann geschieht, geht uns nichts an.“
„Werdet ihr denn den Stein vorschieben?“
„Natürlich.“
„O Allah! So ist keine Rettung möglich. Dieser Stein ist von innen nicht zu entfernen, nicht durch eine Axt, nicht durch ein Messer. Und wir haben nicht einmal ein Werkzeug, sondern werden sogar an Händen und Füßen gebunden sein. Willst du denn nicht wenigstens Gnade an mir ausüben?“
„Verdienst du sie?“
„Du hast doch gesehen, daß ich dir gehorsam bin.“
„Aus Angst vor meiner Kugel.“
„Auch aus Reue über meine Taten.“
„Das glaube ich nicht. Ich will mir aber überlegen, ob ich mit dir eine Ausnahme mache. Kehren wir jetzt zurück!“
Er gehorchte dieser Aufforderung. Als wir wieder beim Feuer waren und ihm die Füße abermals gebunden wurden, flüsterte er mir noch einmal zu:
„Wirst du eine Ausnahme mit mir machen?“
„Nein, ich habe es mir überlegt.“
Da rief er laut und grimmig:
„So hole dich der Scheïtan und versenke dich in die tiefste Verdammnis der Hölle! Du bist der bissigste und räudigste unter allen Hunden der Erde. Möge dein Ende tausendmal elender und qualvoller sein als das unserige!“
Das hatte ich erwartet. Sein augenblicklicher Gehorsam und seine Versicherung der Reue konnten mich nicht täuschen. Er war der kräftigste und auch der roheste und gefühlloseste unter den Köhlerknechten. Das hatte ich ihm gleich angesehen.
Natürlich war ich nur in der Absicht gegen ihn so mitteilsam gewesen, daß er alles, was er von mir erfahren hatte, den andern wieder sage. Sie sollten nur für eine Zeitlang in der Höhle stecken, aber während dieser Zeit erfahren, was Todesangst zu bedeuten hat. Übrigens erhielt er von Halef einige Peitschenhiebe für die gegen mich ausgesprochenen Segenswünsche. Er schien sie gar nicht zu fühlen, denn er war eifrig beschäftigt, seinen Genossen in zornigen Worten mitzuteilen, welches Schicksal ihrer warte. Als sie das vernahmen, erhoben sie ein lautes Geschrei und bäumten sich unter den Fesseln auf. Nur der Köhler lag ruhig und schrie über ihre Stimmen hinweg:
„Seid still! Durch euer Brüllen macht ihr es nicht anders. Wir dürfen diesen Hunden, die uns töten wollen, gar nicht den Gefallen tun, ihnen Angst zu zeigen. Und müssen wir denn Angst haben? Nein, sage ich euch, und hundertmal nein. Ein Christenhund ist es, der uns verderben will; darum wird Allah herniedersteigen, um uns zu retten. Dieser Giaur soll nicht über uns triumphieren!“
„Ich weiß, was du meinst“, antwortete der Knecht. „Allah kann nicht zu uns in die Höhle steigen, denn die Leiter ist fort. Dieser Fremde ist durch die Eiche gekrochen und hat die Leiter weggenommen.“
Eine minutenlange Stille des Schreckens trat ein. Dann fragte der Köhler, indem man es ihm anhörte, daß die Angst ihm fast den Atem raubte:
„Ist das wahr? Ist das wahr?“
„Jawohl, jawohl! Er hat es mir selbst
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