17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
hörte ich sein höhnisches Gelächter. Er rannte weiter, ich ihm nach. Er schoß noch einmal; da stand er an dem über den Abgrund führenden Steg, wie ich beim Blitzen des Schusses sah. Langsamer folgte ich ihm und erreichte den Rand des Spaltes. Hier überzeugte ich mich mit den Händen, daß die Ketten noch eingehakt waren, und folgte ihm auf dem über den Abgrund führenden Brett.
Jetzt war der bedenkliche Augenblick gekommen. Wenn er drüben stehenblieb und mich, bevor ich den festen Boden erreichte, angriff, so war ich verloren. Um ihn davon abzuhalten, gab ich, auf der Mitte des Steges stehenbleibend, die noch übrigen drei Schüsse des Revolvers ab. Ein abermaliges Gelächter belehrte mich, daß ich ihn nicht getroffen hatte. Aber ich hörte auch dem Schall an, daß der Lachende nicht an dem Abgrund stand, sondern weitereilte.
Natürlich zögerte ich nicht, ihm zu folgen. Drüben über der Spalte angekommen, warf ich einen Blick zurück. Ich sah den Schein der Laterne. Der Konakdschy war nicht weit hinter mir. Weiter und weiter ging's. Ich keuchte vor Anstrengung; ich glitt auf den feuchten, schlüpfrigen Brettern oft aus. Und wieder krachte vor mir ein Schuß, welchen ich aus dem noch gefüllten andern Revolver erwiderte. In der Besorgnis, daß der Verbrecher doch noch stehenbleiben und mich endlich wirklich treffen könne, feuerte ich nach und nach, immer vorwärts eilend, alle sechs Schüsse des zweiten Revolvers ab. Dann griff ich zum Messer – nein, in den leeren Gürtel, denn es war nicht vorhanden. Hatte ich es mit einem der Revolver herausgerissen, oder war es mir entfallen, als ich vor dem Gefängnisloch kniete, das konnte ich jetzt nicht wissen.
Mir war so zumute, als ob die Hetzjagd bereits eine volle Stunde gedauert habe. Da ward es dämmerig vor mir: – ich hatte den Eingang des Stollens erreicht.
Kam man von draußen, aus dem hellen Tag herein, so schien es hier völlig dunkel zu sein. Hatte man sich aber eine Weile in der Finsternis befunden, so erfaßte das Auge die wenigen, durch den Pflanzenvorhang dringenden Strahlen und konnte die im Innern des Stollens befindlichen Gegenstände wenigstens ihren Umrissen nach erkennen. Ich hielt an.
Vor mir lag der Kahn. Soeben hatte der Schut denselben vom Pflock gelöst und sprang hinein. Er hörte, daß ich nahe war, und schrie mir zu:
„Hund, leb' wohl! Nur du hast dieses Loch gewußt und sonst niemand. Kein Mensch wird es entdecken und euch hier suchen. Freßt euch einander vor Hunger auf!“
Ich dachte in diesem verblüffenden Augenblick nicht daran, daß es im schlimmsten Fall möglich wäre, uns durch Schwimmen zu retten; ich glaubte seinen Worten. Der Kahn durfte also nicht fort. Ich holte aus und sprang hinein.
Der Schut stand aufrecht drin, mit beiden Händen an die Felswand gelehnt, um auf diese Weise den Kahn gegen das hereinpressende Wasser hinauszustoßen. Die Ruder konnten wegen der Enge des Stollens erst draußen eingelegt werden. Der Kahn schwankte unter der Wucht meines Sprunges. Ich verlor das Gleichgewicht, fiel nieder, und er auf mich.
„Bist du da?“ zischte er mir in das Gesicht. „Willkommen! Du bist mein!“
Er faßte mich mit der einen Hand bei der Gurgel, und ich packte seine beiden Arme. Mit der Linken fühlte ich, daß er mit der rechten Hand in den Gürtel griff. Schnell fuhr ich mit der Hand an seinem Arm nieder bis zum Handgelenk und preßte dieses so fest zusammen, daß er einen Schmerzensschrei ausstieß und die Waffe – ich weiß nicht, ob Messer oder Pistole – fallen ließ. Dann zog ich das Knie empor und stemmte ihn von mir ab. Im nächsten Augenblick hatte ich mich aufgerichtet, er sich aber auch. Wir standen nur einen Schritt auseinander. Wie durch einen dichten Nebel sah ich seine Hände aus dem Gürtel kommen und sich gegen mich richten; ich schlug sie mit den Fäusten auseinander – ein Schuß krachte. Oder waren es zwei? Ich weiß es nicht. Er aber brüllte:
„Nun denn, dann anders! Mich bekommt ihr nicht!“
Er sprang in das Wasser – er hatte die Laterne des Konakdschy erblickt, welcher sich uns näherte.
Der Mensch war wirklich tollkühn! In diesen Strudel zu springen, dazu gehörte mehr als gewöhnliche Beherztheit.
Ich versuchte, den Kahn fortzuschieben; aber die Strömung drang mit solcher Kraft herein, daß ich merkte, es gehöre eine geraume Zeit dazu, das Fahrzeug hinauszubringen. Indessen war der Schut fort, tot oder gerettet.
Daß er es gewagt hatte, ins Wasser zu
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