17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Rihti, Rihti et taijib, natt, natt, natt – Rih, mein Rih, mein guter Rih, springen, springen, springen!“
Ich war überzeugt, daß das Pferd diese in der Sprache seines Heimatlandes gesprochenen Worte verstand. Wenigstens wußte es, daß ‚natt‘ springen bedeutet; es war darauf abgerichtet. Es öffnete das Maul, ließ einen leisen, grunzenden Ton hören, von dem ich wußte, daß es ein Ausdruck der Begeisterung sei, knirschte in den Stahl des Gebisses und flog in weiten, sehnenkräftigen Bogen an dem Schut vorüber und auf die Spalte zu.
Der Schut und ich, wir hatten keine Zeit, aufeinander zu achten. Jeder hatte mit sich und seinem Pferd zu tun. Aber er brüllte mir, als ich an ihm vorbeischoß, einen Fluch zu. Nun war der Spalt da. Straff die Zügel, legte ich mich weit nach vorn nieder.
„Rih, hallak, 'ali, 'ali – Rih, jetzt, hoch, hoch!“ rief ich.
Mein Auge war in starrer Angst nach der gegenüberliegenden Felsenkante gerichtet. Wie breit der Spalt war, das sah ich nicht; ich fixierte nur den gegenüberliegenden Punkt, welchen ich erreichen wollte, und der über einen Meter höher lag, als derjenige, an welchem ich mich hüben befand.
Das brave, unvergleichliche Tier setzte an und schoß empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich über der grauenhaften Tiefe. Ich ließ die Zügel schießen und warf mich nach hinten, so gefährlich und unsinnig dies auch erscheinen mag. Ich mußte das tun, um das Vorderteil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. Hätte ich mich nicht nach hinten geworfen, so wäre ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich über den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollständig. Rih faßte nur mit den Vorderhufen das Gestein.
„'ali, 'ali!“ schrie ich abermals und warf mich nach vorn, dem Pferde den Lasso, welchen ich noch in der einen Hand hielt, nach hinten unter den Bauch zwischen die Beine schlagend. Dadurch wurde die Hinterhand entlastet. Rih hatte noch nie einen Schlag von mir erhalten. Als er den Lassohieb an dem empfindlichsten Teil seines Körpers fühlte, warf er die Hinterhufe hoch an den Bauch herauf, krümmte sich zusammen, daß der Sattelgurt zerplatzte und – faßte nun nach hinten Fuß. Ein gewaltiger Sprung – ich stürzte mit dem Sattel herab, und das Pferd schoß noch eine Strecke vorwärts, um dann stehenzubleiben.
Das alles hatte natürlich nur eine, nur zwei Sekunden gedauert. Ich raffte mich auf und blickte zurück. Da setzte eben der Rappe des Schut an. Er erreichte die diesseitige Kante nicht einmal. Ein Schrei, ein bluterstarrender Schrei, und Roß und Reiter stürzten in die Tiefe.
Mein ganzer Körper war wie Eis. Ich trat an den Spalt heran. Himmel! Er war wenigstens fünf Meter breit! So schätzte ich ihn, doch ist es bekanntlich nicht leicht, die Breite eines Wassers oder eines tiefen Risses genau abzuschätzen. Man irrt da sehr leicht. Und seine Tiefe war so bedeutend, daß ich den Grund gar nicht sehen konnte. Es lag eine dichte, schwarze Finsternis da unten.
Das war ein gerechtes Gericht! Er hatte genau denselben Tod gefunden, welchen er andern bereiten wollte. Denn tot war er – er und sein Pferd. Es war gar keine Möglichkeit, daß beide lebendig in dieser Tiefe angekommen ein konnten. Dennoch lauschte ich einige Zeit und rief auch hinab; aber es war keine Antwort, kein Laut zu hören.
Nun ging ich zu Rih. Er war umgekehrt und dorthin gelaufen, wo der Sattel lag. Ich legte ihm die Arme um den Hals und drückte sein Köpfchen an mich. Er rieb das Maul an meiner Schulter und leckte mir dann die Hand und die Wange. Es war, als ob er sehr genau wisse, daß wir einander das Leben gerettet hatten.
Nun bekümmerte ich mich um meine Genossen. Ranko kam auf seinem Goldfuchs herbeigejagt. Er sah die Spalte nicht, und ich rief und winkte ihm zu, langsam zu reiten.
Zur rechten Hand von mir, der ich mich jetzt nach der Gegend, aus welcher ich gekommen war, umgedreht hatte, jagten die andern noch immer hinter Hamd el Amasat her. Er befolgte, indem er nicht eine und dieselbe Richtung einhielt, eine Taktik, welche den Zweck hatte, die größere Schnelligkeit ihrer Pferde auszugleichen. Sie ließen sich täuschen und folgten ihm im Zickzack. Nur einer war klüger als die andern, nämlich der listige Hadschi. Er hatte die Taktik des Gegners begriffen und war bemüht, derselben zu begegnen.
Hamd el Amasat war nämlich erst nach Osten geritten, wo
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