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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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weit über den Schut hinaus, und bei dem ruhigen Gang meines Pferdes hatte ich ein so sicheres Zielen, daß es mir ein Leichtes gewesen wäre, den Perser aus dem Sattel zu holen. Aber ich wollte ihn nicht töten. Oder sollte ich seinem Pferd eine Kugel geben? Dann mußte er aus dem Sattel fliegen und war mir verfallen. Das schöne, brave Tier tat mir leid. Nein, es gab ja ein sehr gutes Mittel, ihn mir zu holen, ohne ihn oder sein Pferd zu töten. Ich hatte ja den Lasso bei mir. Ich wand denselben los.
    Eben als ich damit beschäftigt war, hörte ich ihn einen schrillen Schrei ausstoßen. Er nahm sein Pferd hoch, und es tat einen weiten Satz. Es hatte eine jener Spalten überwunden, von denen mir der Führer erzählt hatte. Einige Sekunden später schoß mein Rih über dieselbe hinweg. Sie war höchstens vier Ellen breit.
    Jetzt sah sich der Schut wieder nach mir um. Ich war ihm wieder näher gekommen. Da legte er, nach mir zurückgewendet, die Flinte auf mich an. Hatte er wirklich gelernt, wie die Beduinen im Sattel nach rückwärts zu schießen? Ich durfte seinen Schuß nicht abwarten. Im Nu waren die Hähne meines Bärentöters gespannt und die beiden Schüsse krachten schnell nacheinander los. Ich hatte das Gewehr nicht etwa angelegt, um nach dem Schut zu zielen; nein, ich wollte nur sein Pferd erschrecken und erreichte meine Absicht ausgezeichnet, denn der Engländer fuhr zusammen, tat einen Seitensprung und schoß dann in unregelmäßigen Sätzen wieder vorwärts. Der Schut hatte sich im Abdrücken befunden. Sein Schuß ging los, traf mich aber nicht.
    Nun warf ich den Riemen der Büchse über die Schulter und wickelte mir den Lasso um den Ellbogen und Vorderarm, um laufende Schlingen zu erhalten. Ich hatte mich zu beeilen, denn vorn tauchte ein dunkler Waldstreifen auf. Gelang es dem Schut, diesen zu erreichen, so war er gerettet.
    Er hatte Mühe gehabt, sich im Sattel zu halten, als sein Pferd zur Seite sprang, und war nun bestrebt, festen Sitz zu bekommen. Jetzt galt es. Ich mußte das ‚Geheimnis‘ anwenden. Darum legte ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren und rief seinen Namen „Rih!“ Einen Augenblick lang war es, als ob der Hengst starr in der Luft hängen bleibe; dann ließ er ein lautes Wiehern hören und – nun, es ist eben nicht zu beschreiben, welche rapide Schnelligkeit ein solches Pferd bei Anwendung des Geheimnisses entwickelt. Ein anderer als ich, der ich mein Tier gewöhnt war, hätte die Augen schließen müssen, um nicht aus dem Sattel zu taumeln.
    Sechzig Meter hatte ich den Schut vor mir gehabt; es wurden fünfzig, vierzig, dreißig, jetzt zwanzig Meter. Er hörte den Hufschlag meines Pferdes so nahe hinter sich, drehte sich um und schrie entsetzt:
    „Allah seni dschehenneme hükm etsin ej köpek – Allah verdamme dich in die Hölle, du Hund!“
    Er zog seine Pistole und feuerte sie auf mich ab, doch ohne zu treffen. Dann schlug er den Schaft desselben dem Pferd auf den Kopf, daß es mit Anstrengung seiner letzten Kräfte wie rasend dahinflog. Vergeblich! Ich war fünfzehn Meter hinter ihm, nun nur noch zehn, jetzt sechs.
    „Paß auf, Schut, jetzt hole ich dich!“ rief ich ihm zu. „Kein Mensch und kein Teufel kann dich retten!“
    Er antwortete mit einem überlauten Schrei, der fast ein Gebrüll zu nennen war. Ich glaubte, dies habe er vor Wut getan, und schwang die Schlingen des Lasso um den Kopf. Aber da sah ich, daß er sein Pferd zur Seite reißen wollte. Es gelang ihm nicht. Das Tier befand sich einmal im Schuß und war durch die Schläge auf den Kopf wie toll geworden. Ein zweiter Schrei, wie ihn ein Mensch nur in der höchsten Not, im größten Entsetzen auszustoßen vermag! Was war das? Das war nicht Wut, sondern Todesangst!
    Ich nahm mein Pferd ein wenig vorwärts, um neben dem Schut, welcher grad vor mir war, hinwegsehen zu können. Gott im Himmel! Ein langer, langer und breiter dunkler Streifen zog sich quer über unsere Richtung, nicht mehr als dreißig Meter von uns entfernt ein Spalt, ein entsetzlicher, breiter Spalt, dessen jenseitige Kante wohl zwei Ellen höher war als die diesseitige!
    Vielleicht wäre es mir gelungen, mein Pferd noch abzulenken, aber bei der unsagbaren Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog, war das Gelingen doch zweifelhaft. Grad drauflos! Das war die beste Chance.
    Ich ließ die Arme mit dem Lasso sinken, nahm den Kopf des Rappen hoch, legte ihm die linke Hand abermals zwischen die Ohren und schrie, nein, ich brüllte:
    „Rih,

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