170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
verräterische Blöße zu bedecken.
Sie kam sich wie ein ungeratenes Kind vor, das bei einer verbotenen und zutiefst ungehörigen Tat erwischt worden war. Doch obwohl ihre Gefühle in heftigen Aufruhr geraten waren, spürte sie in ihrem Innersten, dass es niemals ungehörig sein konnte, Marcus de Grant zu küssen.
Sie spähte an seinen breiten Schultern vorbei und erblickte eine Frau, die das Liebespaar entrüstet anstarrte. Ihr Haar war zurückgebunden und wurde von einer leinenen Haube bedeckt. Keelin spürte gleichsam die Ablehnung in ihrem strengen Blick, aber die Frau besaß schließlich genug Anstand, wegzuschauen. Einen Augenblick später wandte sie sich mit einem unwirschen Laut ab und verließ den Garten.
Keelin war peinlich berührt und nestelte an den Bändern ihres Gewandes herum. Als Marcus behutsam ihre Hände zur Seite schob und die Bänder neu verschnürte, konnte Keelin seine Anspannung spüren. Etwas Unheilvolles und zugleich Fesselndes ging von seinem Blick aus.
Er sprach kein Wort, sondern sah ihr unverwandt in die Augen, während seine Finger die Schleifen an ihrem Ausschnitt banden und glatt strichen. Es war nicht zu übersehen, dass ein Kampf in ihm tobte. Keelin vermochte die genaue Ursache für seine Unzufriedenheit nicht gänzlich zu ergründen, merkte indes, dass er arg verstimmt war.
Sie fragte sich, ob sie selbst der Anlass für seine Verstimmung war. Dieses Mal jedoch glaubte sie nicht, dass sie der Grund war. Alles ist gut verlaufen – mehr als gut, dachte sie mit einem Seufzer –, bis die alte Frau gekommen war, um das Stelldichein zu stören. Keelin kam zu dem Schluss, dass allein diese Frau seinen Zorn heraufbeschworen hatte.
Sein Blick wurde plötzlich weicher. Nach wie vor kam kein Wort über seine Lippen, und die gewohnte Schweigsamkeit obsiegte einmal mehr. Er umschloss ihr Kinn mit seiner großen Hand, streichelte mit dem Daumen über ihre Wange und löste erneut Schauer des Entzückens bei ihr aus.
Doch die innigen Momente verstrichen allzu schnell. Marcus ließ schließlich die Hand sinken und ergriff ihren Arm. Gemeinsam verließen sie den Garten und gingen zurück zum Bergfried.
„Wer war diese Frau?“, fragte Keelin, als sie die Tür zu den hinteren Küchenräumen erreichten.
„Das war Beatrice, die Zofe von Isolda Coule“, entgegnete er, und seine Miene verdüsterte sich. „Ihre Vertraute.“
„Ich verstehe nicht ganz“, sagte Keelin. „Ist Isolda mit Euch verwandt?“
„Nein, sie ist keine Verwandte, aber eine entfernte Base des Mannes, der den Grafentitel vor meinem Vater innehatte“,erklärte Marcus. „Sie kam vor einigen Jahren nach Wrexton, zusammen mit Beatrice, und hat die Burg seitdem nicht mehr verlassen.“
„Euer Vater war ein großzügiger Mann“, sagte Keelin leise, „da er Lady Isolda gestattete, zu bleiben.“
Marcus erwiderte nichts darauf, aber seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er diese Ansicht zu würdigen wusste. Eldred hatte in der Tat ein gutes Herz bewiesen, als er der verarmten Edelfrau Mitleid und Verständnis entgegengebracht hatte, obwohl er ihr gegenüber keinerlei Verpflichtungen gehabt hatte. Marcus wusste nicht, ob er je ein so gutherziger Herrscher werden würde.
Im Augenblick war ihm ohnehin nicht sonderlich nach wohltätigem Handeln zumute. Tatsächlich hätte er dem alten Weib im Garten am liebsten den Hals umgedreht. Der Verdacht ließ ihn nicht mehr los, dass Isolda über das Zusammentreffen mit Keelin unterrichtet gewesen war und Beatrice in den Garten geschickt hatte, um ihn zu beobachten. Mit dem Ziel, das vertraute Beisammensein zu stören.
Er konnte nicht nachvollziehen, warum Eldred nicht darauf bestanden hatte, dass Isolda einen ihrer Freier ehelichte. Sobald wie möglich würde er sich nun darum bemühen, sie zu verheiraten.
„Marcus“, sagte Keelin und blieb stehen. Sie legte eine Hand auf seinen Arm. „Riecht Ihr nicht auch den Rauch?“
Der junge Graf verharrte nur einen Augenblick, bevor er sie erschrocken anblickte. „Die Stallungen!“
Keelin und Marcus rannten über den unteren Burghof zu der Stelle, wo bedrohliche Schwaden schwarzen Rauches den Winterhimmel verdüsterten. Etliche Männer waren bereits dabei, Eimer voll Wasser auf brennende Heuhaufen zu schütten, die hinter den Stallungen aufgeschichtet waren. Keelin griff nach einem leeren Holzeimer, eilte zum Brunnen und reihte sich dort in die Schlange der Menschen ein, die anstanden, um Wasser zum Löschen zu
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