170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
Söldnern die Mauern von Wrexton überwinden würde, wären die Schurken unverzüglich den Schwertern und Pfeilen von Marcus de Grant und seinen Gefolgsmännern ausgeliefert.
Wenigstens wurde Adam nun bestens betreut. Tiarnan saß in einem bequemen Stuhl neben dem Bett, Kate war damit beschäftigt, das Herdfeuer zu schüren und die notwendigen Besorgungen zu machen, und Marcus wachte am Bett seines jungen Vetters.
Keelin nahm die Gelegenheit wahr und ging nach draußen, um endlich frische Luft zu atmen. Doch das war nicht der einzige Grund, denn sie wollte etwas Abstand zu dem Mann bekommen, der immer mehr Raum in ihren Gedanken einnahm.
Wann immer die junge Kate aus der Krankenstube geeilt war, hatte sie die anderen Bediensteten über Adams Zustand unterrichtet und stets erzählt, was im Augenblick für den Jungen getan wurde. Als Keelin die Große Halle durchschritt und die Küchenräume betrat, wurde sie sogleich von allen Küchengehilfen bestürmt – sie alle kannten den jungen Vetter des Grafen seit Jahren und hatten ihn ins Herz geschlossen.
Der Küchenmeister erkundigte sich im Namen seiner Bediensteten nach Adams Zustand, und alle Gehilfen scharten sich um Keelin, um ihrem Bericht zu lauschen. Bei ihren Worten schüttelten sie die Köpfe, nickten anerkennend oder schnalzten mit der Zunge und brachten ihren Dank zum Ausdruck, dass der Junge von so einer begabten Heilkundigen versorgt wurde wie Keelin O’Shea.
Sie fühlte sich geschmeichelt, dass man ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte. Aber sie war auch tief besorgt. Gewiss, sie tat alles für Adam, doch sie fürchtete, dass die Heilkünste vielleicht nicht ausreichten.
Sie hüllte sich in ihren Mantel, verließ den Bergfried und suchte den Burggarten auf. Sie wollte für einige Augenblicke die Ruhe und Abgeschiedenheit genießen, um ihre Gedanken neu zu ordnen und sich zu beruhigen.
Es war nicht Keelins Absicht, sich mehr als notwendig an die Bewohner von Wrexton Castle zu binden. Seit Tagen wehrte sie sich gegen die Gefühle für diese Leute, denn sie befürchtete, dass es immer schwieriger für sie würde, die Burg zu verlassen und nach Irland zurückzukehren, wenn eine engere Beziehung zu ihren englischen Gastgebern bestand. Ihre Bemühungen waren jedoch erfolglos. Sie war im Begriff, ihr Herz zu verlieren.
Die Erinnerungen an ihre irische Heimat verblassten zusehends. Sie dachte immer seltener an den Verlobten – einen Iren, den sie nicht kannte –, sobald sie mit Marcus de Grant zusammen war. An diesem Morgen hätte sie ihren Gefühlen beinahe freien Lauf gelassen, als der junge Graf sie in seine kräftigen Arme geschlossen hatte, um sie zu trösten. Er hatte verstanden, dass sie verzweifelt und überaus traurig war.
Später, als Onkel Tiarnan gekommen war, um ihnen mit Adam zu helfen, hatte Marcus mit ihr zusammen die Wunde versorgt, als hätten sie sich schon immer gekannt. Jedes Mal hatte er gespürt, was sie während der Behandlung benötigte, noch bevor sie etwas gesagt hatte. All seine Handgriffe und Bewegungen zeugten von wahrer innerer Größe und Kraft, von Sachverstand und Tüchtigkeit. Wenn er mit ihr sprach, lag Achtung und Rücksichtnahme in seiner Stimme, und sein zuvorkommendes Verhalten ließ es immer glaubhafter erscheinen, dass er sie nicht für den Überfall der Kelten verantwortlich machte.
Keelin beobachtete jede Bewegung des jungen Grafen mit einer Faszination, die sie zutiefst aufwühlte. Sie bemerkte sogar Kleinigkeiten an seinem Äußeren – die leicht schräg geschnittenen Augen, die Narbe an seiner Unterlippe, die weiche, glatte Haut seiner Ohrläppchen –, an die sie bei einem anderen Mann keinen Gedanken verschwenden würde. Und dann waren da seine großen und wohlgeformten Hände und die rötlichgolden schimmernden Härchen auf seinen Handrücken. Sie fragte sich …
„Lady Keelin.“
Geschwind drehte sie sich bei dem vertrauten Klang der tiefen, wohltönenden Stimme um. Sie war sich sicher, dass man allein anhand der Röte auf ihren Wangen ihre Gedanken lesen konnte. Marcus hatte sein prachtvolles Haar mit einem kurzen Lederbändchen zurückgebunden, wodurch die Wangenknochen und das kräftige Kinn besonders hervorgehoben wurden.
„Mylord?“ Ihre Stimme klang heiser, und eine angenehme Wärme durchströmte sie, als sie in seine hellblauen Augen schaute.
„Ich, nun …“ Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Ich fragte mich bloß, ob Euch etwas fehlt. Ihr … habt so plötzlich Adams
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