170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
und bemühte sich, ruhiger zu werden und klare Gedanken zu fassen.
Doch sie wusste, dass es ihr kaum gelingen würde. Wie sollte sie zur Ruhe kommen, wenn sie immerzu an die zärtliche Verführung des jungen Grafen denken musste?
17. KAPITEL
„Wer, glaubt Ihr, ist nach Cormacs Tod Anführer des Clans geworden, Onkel?“, fragte Keelin und ging in Tiarnans Kammer vor dem Kaminfeuer auf und ab. Es war noch recht früh, doch die Bediensteten kamen bereits seit geraumer Zeit leise ihren Aufgaben nach. Der heftige Sturm hatte in der Nacht seinen Höhepunkt erreicht und war dann stetig abgeklungen. Unten in den Burghöfen versuchten Männer, mit Schaufeln der Schneemassen Herr zu werden.
„Ach, mein Mädchen, das vermag ich nicht zu sagen“, erwiderte Tiarnan von seinem Bett aus, „obgleich ich Eirc und Laoghaire für ehrenwerte Männer halte.“
„Aber Onkel, sie sind noch junge Burschen! Die O’Sheas brauchen …“
„Sie waren Burschen, als wir Carrauntoohil verließen, Keely“, entgegnete der Greis. „Nun sind sie Männer.“
Sie schwieg und dachte über seine Worte nach. Tiarnan hatte recht, vier Jahre waren eine lange Zeit. Eine halbe Ewigkeit ohne Freunde oder Familie, dachte Keelin. Und in den vier Jahren waren ihre beiden Vettern, die der Onkel erwähnte, zu Männern herangewachsen, zumal dann, wenn die Überfälle und Fehden in Kerry weiterhin das Land erschüttert hatten.
Schreckliche Zeiten trugen rasch dazu bei, dass aus Kindern Erwachsene wurden.
„Und was denkt Ihr, wie wird der Clan sich ohne Ga Buidhe an Lamhaigh halten?“, fragte sie betont beiläufig.
„So schlecht und recht wie jeder andere Clan auch, der nicht über ein solches Heiligtum verfügt“, antwortete Tiarnan. „Die O’Sheas werden ihren Verstand gebrauchen, um zu überleben.“
Mit einem Finger strich Keelin über die geschnitzten Verzierungen des Rauchfangs und bemerkte nicht, mit welch zufriedener Miene der alte Mann auf seiner Schlafstatt ruhte.
„Wie lange werden sie Eurer Meinung nach ohne die Lanze zurechtkommen?“
Tiarnan zuckte die Schultern. „So lange, wie es nötig erscheint, denke ich.“
„Und wie steht es um mich?“, fragte sie, ging zum Bett zurück und setzte sich neben den Onkel. „Wie lange werden die O’Sheas ohne ihre Wahrsagerin leben können?“
„Keely, mein Mädchen. Was willst du mir sagen? Brennst du so darauf, Wrexton zu verlassen, um nach Kerry …“
„Nein!“, erwiderte sie und stand abrupt auf. „Ich meine … oh, Onkel, ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich denke.“
„Keelin …“
„Alles schien so einfach, bevor …“
„Bevor …?“
„Bevor Marcus kam“, sagte sie kaum hörbar.
„Hast du ihn gern, Mädchen?“
„Oh ja“, erwiderte Keelin und wischte eine Träne von der Wange. „Ich habe ihn gern. Aber die Pflicht gegenüber meinem Clan ruft. Ich kann nicht in Wrexton bleiben.“
„Und, möchte der Graf denn, dass du bleibst?“
Sie nickte. „Er hat mich gebeten, hierzubleiben.“
Tiarnan seufzte. Vor vier Jahren hätte er darauf bestanden, dass Keelin mit Ga Buidhe an Lamhaigh nach Carrauntoohil zurückkehrte, sobald sich eine Gelegenheit bot.
Aber die Sichtweise des alten Iren hatte sich in der langen Zeit auf der Flucht grundlegend geändert. In den vier unsteten Jahren hatte er so viel Neues erfahren und erlebt, dass sein gewohntes Leben in Carrauntoohil allmählich in den Hintergrund gerückt war. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass seine Leute inzwischen ebenfalls gelernt hatten, ohne die Vorzüge der Heiligen Lanze zurechtzukommen. Und ohne die Wahrsagerin.
Er war nicht auf sein Augenlicht angewiesen, um zu erkennen, dass Keelin ein Leben in Wrexton gefiel. Marcus de Grant mochte sie sehr, und von einem Mann wie Fen McClancy war eine solch innige Zuneigung kaum zu erwarten. Außerdem könnte der irische Clanführer ihr niemals ein Leben wie das in Wrexton bieten.
Tiarnan ertrug zudem den Gedanken nicht, was aus dem Mädchen würde, wenn sie Mageean in die Hände fiel. Sie setzte sich großen Gefahren aus, wenn sie den Schutz von Wrexton Castle aufgab, um die lange Heimreise anzutreten.
Doch durfte er sich anmaßen, so zu denken? Keelin war diejenige, der die Gabe des zweiten Gesichts beschieden war. Ihren Einschätzungen musste er in dieser Angelegenheit Glauben schenken und ihre Entscheidungen billigen. Es kam nicht auf die sentimentalen Sehnsüchte eines alten Mannes an.
Denn so sehr ihm auch Keelins Glück und
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