1706 - Lockvogel der Nacht
Wesen aussuchen würde. Die beiden standen dicht beisammen, und Justine ging sofort auf sie zu und blieb vor ihnen stehen.
Beide waren verschieden, beide sahen auch leicht schlampig aus, aber sie war in der Lage, auch hinter die Fassade zu schauen, und wusste, dass sie es schaffen konnte, etwas aus ihnen zu machen, um sie so in die Welt zu schicken.
Sie konzentrierte sich auf die Person mit den langen schwarzen Haaren. Ein schmales Gesicht mit einem breiten Mund und schrägen Katzenaugen. Ein weiches Kinn und ein lüsterner Blick.
»Du bist richtig!«, flüsterte sie.
»Wofür?«
»Als Lockvogel. Ja, du wirst mein Lockvogel der Nacht. Ich werde das fortführen, was Mallmann nicht geschafft hat, und dann werde ich dich auf die Reise schicken, um jemandem einen Gruß zu schicken, der ruhig blutig enden kann.«
Sie sprach noch in Rätseln und gab auch in den folgenden Sekunden keine Erklärung.
»Wie heißt du?«
»Kate.«
»Sehr schön. Der Name gefällt mir.« Sie winkte mit dem gekrümmten Finger. »Komm her …«
Keiner der anderen Halbvampire unternahm etwas. Justine war als Chefin akzeptiert worden, aber dafür meldete sich Will Mallmanns Stimme.
»Ich beneide dich. Ja, ich beneide dich wirklich. Du kannst das schaffen, was mir verwehrt blieb. Aber ich werde es trotzdem genießen können.«
»Ja, versuche es.«
Nach dieser Antwort war Mallmann für die Cavallo vergessen. Noch befand sich Kate nicht nahe genug bei ihr. So streckte sie den Arm aus und griff in den Stoff ihres Mantels.
Ein kurzes und kräftiges Ziehen. Kate fiel auf sie zu und landete in den Armen der blonden Bestie.
»Du weißt, was auf dich zukommt?«
»Ja …«
Die Cavallo entblößte ihr Gebiss. Deutlich waren ihre spitzen Hauer zu sehen, die zur unteren Seite hin eine leichte Biegung nach innen zeigten.
Kate schloss die Augen. Sie wollte nicht sehen, was mit ihr geschah, sie wollte nur genießen, denn für sie würde sich ein Traum erfüllen.
Mit einer routinierten Bewegung drehte die Cavallo den Kopf der Halbvampirin nach rechts, damit die Haut an der linken Seite straff wurde. Adern malten sich darunter ab.
Justine biss zu!
Ein satt klingender Laut verließ dabei ihren Mund. Die beiden Spitzen zerhackten die straff und auch dünn gewordene Haut, trafen eine Ader, aus der das Blut in den weit geöffneten Mund der Vampirin spritzte.
Ihre Lippen klebten am Hals der Frau. Die Wangen zuckten beim Saugen, das Schmatzen wurde auch von den umherstehenden Halbvampiren gehört, eine Melodie, die auch in den folgenden Sekunden nicht abriss.
Justine trank.
Und sie trank mit einer Gier, als wäre sie innerlich völlig ausgetrocknet. Sie ließ Kate nicht los. Die Halbvampirin blieb in der leichten Schräglage, wobei ihre Gesichtszüge, die zuvor noch angespannt ausgesehen hatten, allmählich erschlafften.
Leer trinken, und das bis zum letzten Tropfen. So hatte es die Cavallo immer gehalten, und so hielt sie es auch jetzt.
Bis zum letzten Tropfen!
Genau das zog sie durch, und sie hielt ihr Opfer dabei fest. Erst, als sie auch das Blut um die Bisswunde herum abgeschleckt hatte, ließ sie Kate los, die auf dem Boden landete und auf dem Rücken liegen blieb.
Sie hatte es geschafft, denn sie hatte das Ziel erreicht, was ihr durch Dracula II damals nicht vergönnt gewesen war. Wenn sie aus ihrem Schlaf erwachte, würde sie eine vollwertige Wiedergängerin sein.
Justine nahm sich Zeit. Mit dem Finger wischte sie die letzten Blutstropfen von den Lippen und leckte ihn ab.
Wie die anderen Halbvampire hatte auch Hellman zugeschaut. Er war leicht nervös geworden. Er wollte wissen, wie es weiterging, und sprach Justine an.
»Ich will es auch. Ich will, dass du mein Blut trinkst. Ich – ich hasse diesen Zustand und …«
»Nein!«, sagte sie hart. »Ich habe beschlossen, dass es zuerst nur einen Lockvogel geben wird. Daran werdet ihr euch halten. Wir beginnen langsam und werden uns später etwas Neues einfallen lassen. Ihr bleibt vorerst im Hintergrund.«
»Wen soll Kate denn locken?«
Justine warf der neuen Vampirin einen Blick zu. »Wir werden sie entsprechend kleiden, um sie dann loszuschicken. Das alte Gesetz wird nicht gebrochen. Frauen locken Männer, und so wird es auch hier sein …«
***
Gewisse Dinge ließen sich einfach nicht aufschieben. So war es auch bei mir. Sie drängten mich, und ich konnte mich diesem Drängen einfach nicht entziehen.
Noch bevor Feierabend war, teilte ich Glenda und Suko meinen Entschluss
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