1706 - Lockvogel der Nacht
Dinge waren im Fluss, und die Perspektiven, die ihr Mallmanns Geist aufgezeigt hatte, gefielen ihr ausnehmend gut.
»Du willst ihn tot sehen?«
»Nicht ganz!«
»Was schlägst du vor?«
Sie hörte wieder die Stimme, begleitet von einem leisen Gelächter. »Wir werden ihm Angst einjagen. Wir werden dafür sorgen, dass er Bescheid weiß und sich fürchtet, weil er jeden Tag damit rechnen muss, einen tödlichen Angriff zu erleben. Ich habe gedacht, dass wir uns Zeit lassen und ihn vor uns her treiben, was auch für seine Verbündeten gilt. Die Zeit arbeitet nicht für ihn, sondern für uns, und diese Auseinandersetzung kann er im Endeffekt nicht gewinnen. Wir machen ihn fertig und schlagen irgendwann zu.«
Die Vampirin brachte nicht den geringsten Einwand vor. Ihr gefiel das, was gesagt worden war. Nie hätte sie gedacht, dass es das Schicksal einmal so gütig mit ihr meinen würde. Ab jetzt sah sie wieder Land, da war plötzlich eine neue Perspektive vorhanden, denn Besseres konnte ihr nicht geschehen. Sie hatte sich sowieso in der letzten Zeit gelangweilt.
Gut, es hatte Einsätze gegeben, auch zusammen mit Sinclair, doch diese waren für sie äußerst unbefriedigend gewesen.
»Musst du noch immer nachdenken?«, hörte sie ihren ehemaligen Todfeind sprechen.
»Nein, ich bin einverstanden.«
»Nichts anderes habe ich von dir erwartet.«
»Aber es ist nicht mehr so wie früher. Es gibt deine Vampirwelt nicht mehr und damit auch nicht den Ort, an den wir uns zurückziehen könnten …«
»Die brauchen wir auch nicht mehr. Uns gehört die ganze Welt. Mit unseren vereinten Kräften sind wir allen überlegen. So muss dein Denken jetzt aussehen. Es gibt keine Rückkehr mehr für dich. Du bist ab jetzt überall zu Hause und wirst das Blut wie in alten Zeiten trinken, um immer neue Wiedergänger zu erschaffen. Aber wir werden uns Zeit dabei lassen und Schritt für Schritt vorgehen.«
»Gibt es denn Pläne von deiner Seite?«
»Nein, die lassen wir uns einfallen, und sollten wir uns mal zurückziehen müssen, dann steht uns die Welt des Spuks offen, das ist mir versprochen worden.«
Justine nahm es hin. Sie konnte sich auch nicht dagegen wehren. Sie hatte sich um ihre Zukunft nie besondere Gedanken gemacht. So hatte Mallmann für sie mitgedacht.
»Ich bin bereit!«
»Das ist gut …«
Es schien, als hätte ein Dritter ihrem Dialog zugehört, denn die Umgebung veränderte sich. Bisher hatte Justine in der Dunkelheit gestanden, die aber löste sich langsam auf. Um sie herum begann es zu wallen. Das Dunkle veränderte seine Farbe. Es wurde grau und dann durchsichtig.
Hell wurde es trotzdem nicht, weil die Nacht noch nicht vorbei war. Aber im Gegensatz zur Dunkelheit der dämonischen Welt war die normale mit Blicken gut zu durchdringen, und die Cavallo stellte fest, dass sie ihren Platz nicht verlassen hatte und noch immer auf dem Friedhof stand.
Auch war sie nicht allein. Hellman und seine Apostel standen in der Nähe. Sie starrten sie ungläubig an, weil sie kaum mit einer Rückkehr der blonden Vampirin gerechnet hatten.
Die Cavallo konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, als sie die erstaunten Gesichter sah. Aus dem Grinsen wurde ein Lachen, und das mündete in eine Frage.
»Habt ihr gedacht, dass ich nicht mehr zurückkehren würde? Habt ihr das wirklich angenommen?«
Sie schwiegen.
Justine bewegte sich. Vor der Reihe der Halbvampire ging sie auf und ab. Sie schaute in die starren Augen der männlichen und der beiden weiblichen Wesen. Dann begann sie zu sprechen.
»Ihr seid nicht fertig, weil euer Führer, Dracula II, es nicht geschafft hat. Als Halbvampire habt ihr euch durchschlagen müssen, aber ich kann euch eine gute Botschaft verkünden. Dracula II gibt es noch. Nur sein Körper wurde vernichtet, sein Geist aber hat in einer Dunkelwelt überlebt und ein mächtiger Dämon hat es geschafft, uns beide wieder zu vereinen. Wenn ihr mich anschaut, könnt ihr davon ausgehen, dass Mallmann und ich eine Person sind. In mir steckt sein Geist, und so bin ich eure neue Herrin. So wie ihr Mallmann gehorcht habt, werdet ihr von nun an mir gehorchen. Er und ich sind eins. Ich werde es mir überlegen, ob ich euch weiterhin als Halbvampire akzeptiere. Wahrscheinlich nicht alle, denn ich möchte zunächst meinen Hunger nach Blut stillen und eine von euch zu einer echten Wiedergängerin machen.«
Sie hatte sich deutlich genug ausgedrückt, so wussten die Geschöpfe, dass sich die Cavallo ein weibliches
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