1706 - Lockvogel der Nacht
Halbvampire oder dann Vampire, die euch zur Seite stehen. Das ist es doch.«
Die Cavallo sagte nichts. Aber sie fing an, Gefallen an dem Gedanken zu finden. Egal, was mal zwischen ihr und Mallmann gewesen war, es hatte ja nicht nur diese Todfeindschaft gegeben. Davor hatten sie Seite an Seite gestanden, auch das war nicht aus ihrer Erinnerung gelöscht worden.
Und wenn sie sich das jetzt vor Augen hielt, konnte sie sich sogar damit anfreunden. Als ihr dieser Gedanke kam, wunderte sie sich über sich selbst.
»Hast du eine Entscheidung getroffen? Das will ich jetzt hören, denn hier in meiner Welt entscheidet sich dein weiterer Weg.«
»Das habe ich!«
»Und?«
Ein Mensch hätte vor der so wichtigen Antwort tief eingeatmet. Das brauchte eine Vampirin nicht, und so sagte sie den alles entscheidenden Satz.
»Ja, ich nehme deinen Vorschlag an. Ich will mit Mallmanns Seele vereinigt werden.«
Pause. Stille. Dann wurde sie durch die Stimme des Spuks unterbrochen.
»Ich darf dir gratulieren, denn vor dir liegt eine große Zukunft …«
***
Ich hatte auch die Conollys anrufen wollen, um sie über die neue Entwicklung aufzuklären. Leider hatte sich bei ihnen niemand gemeldet, und so versuchte ich es auf dem Handy.
Da meldete sich Bill.
»He, wessen Stimme höre ich da?«
»Kannst du reden?«
»Ja, ich stehe in einem Zeitungsladen, um mich mit Lesestoff einzudecken. Sheila ist in einem Geschäft verschwunden, um Geschenke für Weihnachten zu kaufen.«
»Wie schön für euch.«
»He, was meinst du denn damit?«
»Ich habe meine Überraschung schon erlebt. Da brauche ich Weihnachten nicht mehr.«
Bills Stimme nahm einen anderen Klang an. »Das hört sich gerade nicht gut an.«
»Das ist es auch nicht.« Nach diesem Satz klärte ich ihn auf. Zwischendurch drangen Laute an mein Ohr, die ich selten von Bill zu hören bekam.
Schließlich stöhnte der Reporter auf. »Und du hast dir das nicht aus den Fingern gesogen, um mich zu schocken?«
»Wie käme ich dazu?«
»Dann musst du wohl in den sauren Apfel beißen. Mal ehrlich gesagt, das hat zwischen euch auch nicht mehr lange gut gehen können. Das war keine Partnerschaft, auch wenn die Cavallo stets darauf bestanden hat. Aber jetzt sind die Fronten klar. Sie muss von der Welt getilgt werden. Nicht mehr und nicht weniger.« Er lachte schallend.
»Du siehst es genauso wie ich. Aber irgendwann wird sie etwas merken, Bill, und sich darauf einstellen. Von Jane weiß ich, dass sie unterwegs ist, und ich hoffe nicht, dass sie Menschen das Blut aussaugt.«
»Willst du denn auf sie warten?«
»Denkst du an Janes Haus?«
»Ja.«
»Nein oder vielleicht. Ich weiß noch nicht, wie ich mich verhalten werde. Dich wollte ich nur warnen, damit auch du dich auf die neue Lage einstellen kannst.«
»Darauf freuen kann ich mich nicht, Alter.«
»Frag mich mal.«
»Egal, was kommt, wir packen es.«
»Das hoffe ich, Bill, das hoffe ich sogar stark …«
***
Besonders den letzten Satz hatte die Cavallo gehört. Eigentlich hätte sie froh darüber sein müssen, aber ihre angeborene Skepsis war weiterhin vorhanden, und so dachte sie darüber nach, ob sie richtig gehandelt hatte. In einer derartige Situation hatte sie sich noch nie zuvor befunden.
Plötzlich war alles wieder ganz nah. Mallmann, den sie so hasste und mit dem sie jetzt wieder vereint werden sollte. Ein zerstückelter Körper, der für sie der große Sieg gewesen war, obwohl sie nichts dazu beigetragen hatte. Das war allein John Sinclairs und Sukos Verdienst gewesen, denn sie hatten es geschafft, ihn mit Handgranaten in Fetzen zu sprengen.
Und jetzt?
Jetzt war er wieder da. Nur anders, nicht mehr körperlich. Sein Geist, seine Seele, sein Wille oder wie man es auch immer nennen wollte, hatte überlebt. Gefangen in einem stockfinsteren dämonischen Reich. Verloren bis in die Ewigkeit. So hätte man meinen können.
Tatsächlich aber war alles anders gekommen. Der Geist war frei, und er war stärker als der Körper. Er hatte seine Fesseln gesprengt, er konnte sich bewegen, und er würde auf eine Todfeindin treffen, um mit ihr eine Verbindung einzugehen.
Die beiden roten Kreise waren verschwunden. Niemand kümmerte sich mehr um Justine. Sie starrte trotzdem in die Schwärze hinein, weil sie erwartete, dass sich dort etwas bewegen würde, das sie als Ziel hatte.
Da war nichts.
Und trotzdem spürte sie etwas.
Nicht zu sehen, mehr zu fühlen, zu ahnen. Sie war nicht mehr allein, etwas umschwebte sie, für das
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