1709 - Die Blutprinzessin
als blutleere Hülle in der Hütte fanden?
Der Gedanke bereitete mir Magendrücken und schockte mich so, dass ich zunächst stehen blieb und Suko allein weiter ging.
Direkt von dem hellen senkrechten Türspalt blieb er stehen. Er schob seinen Kopf vor, traute sich jedoch nicht, den Spalt zu erweitern. Als ich ihm endlich folgte und neben ihm stehen blieb, da spürte ich immer noch mein Zittern.
»Siehst du was?«, fragte ich flüsternd.
»Nein …«
»Hörst du was?«
»Ich glaube …«
»Und was ist mit Johnny?«
»Kann ich dir auch nicht sagen, John. Aber …« Er hörte auf zu sprechen.
»Was ist mit aber?«
»Eine leise Frauenstimme.«
»Klar, Justine …«
»Nein, nicht.«
»Aber ich …«
Suko drehte sich weg. »Es ist am besten, wenn du selbst nachsiehst, wobei ich denke, dass wir eingreifen sollten.«
Der Meinung war ich auch, aber zuvor wollte ich mir einen Überblick verschaffen …
***
Warum beißt sie noch nicht zu?
Will sie meine Qualen verlängern?
Johnny fand keine Antwort, bis er sich irgendwie im Kopf befreit fühlte und eine Flüsterstimme an seine Ohren drang, wobei die leisen Worte auch an die Cavallo gerichtet waren.
»Ich will nicht, dass er sein normales Leben verliert!«
Es war ein gesprochener Befehl. Worte, die aus dem Mund einer Person stammten, die allerdings nicht zu sehen war und möglicherweise im Rücken der blonden Bestie stand.
Justine hatte die Worte gehört und tat erst mal nichts. Sie biss auch nicht zu. Johnny, der hoch konzentriert war, spürte, dass der Druck der spitzen Zähne nachließ.
Und so erhielt er die Gelegenheit, über die Stimme nachzudenken, die er sich nicht eingebildet hatte, denn auch die Cavallo hatte sie gehört, sonst hätte sie schon längst zugebissen.
»Geh weg von ihm!«
Erneut klangen die Flüsterworte auf, und plötzlich hatte Johnny das Gefühl, nur noch aus Gänsehaut zu bestehen. Es war verrückt, es war eigentlich nicht möglich, er musste sich geirrt haben, denn die Stimme kannte er.
»Deine Angst habe selbst ich gespürt, Johnny …«
Plötzlich wusste er Bescheid, und ein leiser Schrei verließ seinen Mund. Es war kein Irrtum mehr möglich, denn wer sich da gemeldet hatte, war Nadine Berger, die Person, die ihn in seiner Kindheit mal in Gestalt einer Wölfin mit menschlicher Seele beschützt hatte …
***
Und jetzt war sie wieder da!
Nur nicht mehr als Wölfin, denn sie hatte sich zurück in einen Menschen verwandeln können und lebte jetzt auf der geheimnisvollen Nebelinsel Avalon.
Es war seit ihrem Weggang immer wieder mal in größeren Abständen zu einem Kontakt zwischen ihnen gekommen, und Nadine hatte auch versprochen, auf Johnny zu achten und ihn irgendwie zu beschützen, aber dass sie jetzt erschienen war, das hätte er nie in seinem Leben für möglich gehalten.
Trotzdem war sie da, auch wenn er sie nicht sah, denn die Stimme hatte er sich nicht eingebildet.
Justine Cavallo stand zwar noch in Johnnys Nähe, aber sie hatte sich leicht zurückgezogen. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, konzentrierte sich zugleich auf die Besucherin, die sich hinter ihr aufhielt und in einer Ecke stand.
In Justine Cavallos glattem Gesicht arbeitete es. Die Überraschung hatte sie noch nicht überwunden. Sie war irritiert. Ohne sich umzudrehen, sprach sie die Person an.
»Wer bist du?«
»Jemand, der nicht will, dass Johnny Conolly zu einem Blutsauger gemacht wird.«
»Und du meinst, du könntest es verhindern?« Die Cavallo hatte ihre Sicherheit wiedergefunden.
»Ja, das meine ich.«
»Wie kommst du dazu?«
Johnny hätte es ihr sagen können, doch er hielt den Mund. Er konnte auch nicht reden. Seine Knie waren weich geworden und er wunderte sich darüber, dass er noch auf den Füßen stand. Es lag wohl an der Wand, die ihm Halt gab.
Die Blutsaugerin aber wollte es genauer wissen. Sie war sich Johnny sicher und drehte sich jetzt langsam um, weil sie die Person sehen wollte, die es tatsächlich gewagt hatte, hier einzudringen und sie zu stören.
Sie schob sich noch einen Schritt zur Seite. So konnte sie Johnny und auch die andere Person sehen, die in einer Ecke stand wie eine Statue und vom Licht der Kerzen umschmeichelt wurde.
Es war eine schöne Frau mit roten Haaren und einem fein geschnittenen Gesicht. In ihrem Gewand – von einem Kleid konnte man bei ihr nicht sprechen – wirkte sie wie eine Königin.
»Woher kommst du?«
»Seine Angst hat mir den Weg gewiesen.«
»Das ist keine Antwort, verdammt.
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