1712 - Verflucht bis in den Tod
Chandra traf dies zu. Sie war den Kugeln entgangen und abgetaucht in eine Szenerie, in der es weder Dunkelheit noch helles Licht gab, sondern ein sich ständig veränderndes Wechselspiel von zuckenden Schatten, das Gegenstände verzerrte und ein genaues Zielen unmöglich machte.
Jetzt war Karina es, die in Lebensgefahr schwebte. Doch nicht nur sie allein, denn in dieser Hölle befand sich auch ihr Partner, der im Rollstuhl saß und so verdammt hilflos war.
Aber es war noch einer da!
Karina wunderte sich, dass sie in der Lage war, in so kurzer Zeit so viel aufnehmen zu können, obwohl sie so angespannt war. Sie sah noch eine Gestalt im Hintergrund stehen, die nicht in Deckung gegangen war.
Das musste Rasputin sein. Bei hellem Licht hätte sie ihn besser erkennen können, hier aber war er mehr eine Schattengestalt, die aufgrund der flackernden Beleuchtung in ständiger Bewegung zu sein schien.
Sie hörte das harte Lachen der Kugelfesten. Zu sehen war sie nicht. Bestimmt robbte sie über den Boden. Das Lachen hatte Karina von vorn erreicht. Dort befand sich Rasputin und auch Wladimir war nicht weit entfernt.
Karina musste dorthin.
Aber auch sie wollte vorsichtig sein. Auf keinen Fall aufrecht gehen. Sich ducken, in Deckung bleiben und so leise wie möglich sein. Sie musste Haken schlagen, rechnete immer damit, beschossen zu werden.
Bisher hatte sich Wladimir nicht bewegt. Jetzt musste er etwas gesehen haben, denn er schob seinen Rollstuhl zurück und duckte sich dabei. Sein Vorhaben war klar. Er wollte sich in einen dunkleren Teil der Kapelle zurückziehen, um Karina nicht im Weg zu sein.
Chandra war nicht zu sehen. Karina glaubte nicht, dass sie zwischen den Bänken Deckung gesucht hatte. Da wäre sie zu unbeweglich gewesen. Sie rechnete damit, dass sie sich in der Nähe des erweckten Rasputin aufhielt.
Karina schaute nach rechts.
Von Wladimir sah sie nichts mehr. Er hatte die Gunst der Stunde genutzt und sich eine Deckung gesucht, die hoffentlich gut genug war.
Geduckt und immer wieder nach allen Seiten schauend, näherte sich Karina Grischin dieser alten und unheimlichen russischen Legende.
Wer hatte schon die Chance, den lebenden Rasputin zu sehen? Das war nicht zu fassen, aber er war da. Er stand im Hintergrund als Beobachter und dachte gar nicht daran, in Deckung zu gehen. Vielleicht war ja auch er unverwundbar wie die kugelfeste Chandra.
Niemand hinderte Karina daran, sich Rasputin zu nähern. Eigentlich hätte sie sich darüber wundern müssen, doch sie war in diesen Momenten zu sehr auf den Mönch fixiert.
Keiner griff sie an.
Dann hatte sie ihn erreicht. Es kam ihr selbst komisch vor, dass sie sich normal vor dieser Gestalt aufrichten konnte. Sie sah in Rasputins Augen und hatte den Eindruck, dass dort ein tiefes Wissen verborgen war. Aber sie sah auch die Kälte und die Gnadenlosigkeit, die von diesem Blick ausging.
Sie wurde sogar angesprochen. »Ich bin Rasputin!«
Die Agentin war so überrascht, dass sie nichts erwidern konnte. Es war ein Moment, den ein Mensch nie im Leben vergisst, und das war auch bei ihr der Fall.
Sie fühlte etwas durch ihren Körper rinnen. Zwei Waffen hielt sie in den Händen, nur brachte sie es nicht fertig, dieser düsteren Gestalt Kugeln in den Kopf zu jagen, um sie auszulöschen.
Da hörte sie den Schrei!
Er hatte sie von der rechten Seite her erreicht. Und nach dorthin war Wladimir verschwunden.
Sie fuhr herum.
Aus der Dunkelheit raste etwas auf sie zu. Es war der Rollstuhl mit seinem lebenden Inhalt. Ihr Freund hatte beide Hände hochgerissen und dazwischen tauchte sein Gesicht wie eine bleiche Totenmaske auf. Er hatte Angst vor der Person, die den Rollstuhl auf Karina zuschob. Sie warf sich zur Seite, nur war es zu spät, denn der Rollstuhl erwischte sie zwar nicht voll, aber am linken Bein, und der Aufprall war so hart, dass sie sich nicht mehr halten konnte und zur Seite geschleudert wurde.
Der Rollstuhl stoppte oder wurde gestoppt. Wladimir kippte nach vorn. Er war zum Glück angeschnallt, so fiel er nicht zu Boden und blieb im Stuhl sitzen.
Aber er war nicht wichtig. Dafür die Person, die den Stuhl geschoben hatte. Sie hatte die Griffe losgelassen und stand zum Greifen nah vor der liegenden Karina Grischin.
Ihr Lachen hörte sich schrecklich an. Zugleich zog Chandra ein Messer und flüsterte: »Ich wollte dir schon immer die Kehle durchschneiden. Jetzt ist es so weit …«
***
Zwei Schüsse fielen!
Und die hatte ich abgegeben. Manchmal ist
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