1715 - Gewächs des Grauens
Vielleicht half es ihr, wenn Sie den Bischof anrief und noch einmal mit ihm über die Versteigerung sprach. Er könnte ihr zumindest erklären, ob er noch von anderen Gruppen wusste, die sich für das Objekt interessierten. Ob sie den Bischof über den Anruf informieren würde, wusste sie noch nicht. Das musste erst das Gespräch ergeben.
Die Nummer hatte sie. Ihr Herz klopfte schon etwas schneller, als sie darauf wartete, dass sich jemand meldete. Das war auch der Fall. Nur hatte sie nicht den Bischof am Telefon, sondern einen Mann, dessen Stimme ihr unbekannt war.
»Guten Tag. Mein Name ist Jane Collins. Ich hätte gern mit Bischof Makarew gesprochen.«
»Wer ist dort?«
Jane wiederholte ihren Namen.
»Tut mir leid, von Ihnen habe ich noch nie gehört.«
»Das kann ich mir denken. Ich hatte ja nur mit dem Bischof Kontakt.«
»Der Bischof ist nicht da. Tut mir leid, und jetzt wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.«
Das war’s.
Jane Collins saß da und schüttelte den Kopf. Beinahe hätte sie gelacht, doch bei näherem Nachdenken sah sie das Gespräch nicht als lustig an. Man hatte sie förmlich abgefertigt. Eiskalt auflaufen lassen. Das konnte harmlos sein, aber auch andere Gründe haben, zum Beispiel, dass sich der Bischof verleugnen ließ, weil er möglicherweise Furcht hatte.
Jane hatte ihren neuen Job als sehr interessant angesehen. Das war nun nicht mehr der Fall. Jetzt fing bei ihr schon das große Nachdenken an. Es war durchaus möglich, dass sie vor einem Bündel von Schwierigkeiten stand, doch davon hatte sie sich eigentlich noch nie abhalten lassen, und auch jetzt würde sie nicht einknicken. Die Herausforderung musste angenommen werden, sonst hätte sie nicht mehr in den Spiegel blicken können.
Sie stand auf und schaute aus dem Fenster. Draußen begann es allmählich dunkel zu werden.
Seit einiger Zeit lebte Jane Collins wieder allein. Sie war froh darüber, den Albtraum Justine Cavallo losgeworden zu sein, auch wenn sie die blonde Blutsaugerin jetzt nicht mehr unter Kontrolle hatte und sie sogar als Feindin ansehen musste. Die Sicherheit in ihrem Haus war durch ihr Verschwinden nicht größer geworden.
Jane Collins machte sich keine Mühe, immer wieder darüber nachzudenken. Sie führte schließlich ihr eigenes Leben weiter.
Jane verspürte ein Hungergefühl. Sie dachte darüber nach, ob sie im Haus was essen sollte oder lieber in einem Lokal, das sie zu Fuß erreichen konnte. Sie war schon einige Male in diesem Laden gewesen. Die Besitzer setzten auf sehr gesundes Essen und proklamierten die reine Bioqualität. Das galt für das Fleisch ebenso wie für das Gemüse.
Es gab nur wenige Gerichte zur Auswahl, aber was da geboten wurde, war sehr schmackhaft, und die Karte wechselte einmal in der Woche.
Jane hatte nicht vor, sich von dem Anrufer den Appetit verderben zu lassen, und entschloss sich, eine Kleinigkeit in diesem Lokal zu sich zu nehmen.
Das Wetter draußen konnte als typisch für London angesehen werden. Ein bedeckter Himmel, aus dem kein Regen fiel, der aber die Stadt grau in grau malte.
Jane ging nach unten. An der Garderobe hing ihre giftgrüne, mit Daunen gefütterte Jacke, die sie überstreifte. Darunter trug sie einen hellen Pullover, und eine schwarze Hose bedeckte ihre Beine.
Sie verließ das Haus, schloss ab und sah vor sich den noch winterlich farblosen Vorgarten, den sie durchqueren musste, um den Gehsteig und die Straße zu erreichen.
Eine reine Routine und doch war Jane Collins auf der Hut. Nicht nur wegen des letzten Anrufs, sie war es gewohnt, ihre Umgebung im Auge zu behalten, was sie auch jetzt tat, doch etwas Ungewöhnliches war nicht zu sehen.
Jane betrat den Gehsteig. Sie musste sich nach links wenden und die mit Bäumen gesäumte Straße bis zu ihrem Ende gehen. Dann wieder nach links, und etwa zweihundert Meter weiter lag das Restaurant etwas von der Straße versetzt.
Sie ging den ersten Schritt, als es passierte. Nicht links, sondern rechts und aus dem Augenwinkel sah sie die Feuerblume aufplatzen. Sie hörte den Knall der Explosion und erlebte den Anprall einer Druckwelle, die sie fast von den Beinen gerissen hätte.
Dem konnte sie entgegenwirken, indem sie sich duckte. Atemlos schaute sie dorthin, wo sich die Explosion ereignet hatte.
Ein Auto war in die Luft geflogen.
Jane wusste auch, um welchen Wagen es sich handelte.
Es war ein roter Golf, und der gehörte ihr …
***
In den folgenden Sekunden stand sie bewegungslos auf der Stelle
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