1719 - Totenmarsch
Hill.«
»Sind Sie so etwas wie ein Bürgermeister?«
»Den brauchen wir hier nicht.«
»Auch gut. Darf ich fragen, warum Sie sich hier auf dem Friedhof versammelt haben?«
»Das dürfen Sie, Mister Sinclair. Aber Sie werden von uns keine Antwort bekommen.«
Ich lächelte trotz der Abfuhr, hielt mein Gesicht gegen den Wind und fragte: »Warum bekommen wir keine Antwort?«
»Weil Sie das nichts angeht. Sie sind fremd hier, und wir regeln unsere Probleme unter uns.«
»Aha. Es gibt also ein Problem?«
Graham Hill ballte seine breiten Hände zu Fäusten. »Und wenn es ein Problem geben würde, ginge Sie das nichts an.«
»Ja, schon. Aber wäre es nicht auch möglich, dass wir uns zusammentun? Dass die eine Seite der anderen hilft? Wir wissen, was mit Ihrem Pfarrer passiert ist, und ich kann Ihnen sagen, dass wir nicht zufällig hier sind.«
Graham Hill reckte sein Kinn vor. »Wer sind Sie denn, dass Sie so etwas sagen?«
Wenig später schaute er sich meinen Ausweis an. Es dauerte nicht lange, da löste sich der aggressive Ausdruck aus seinem Gesicht. Er zeigte sich leicht unsicher und sagte dann mit halblauter Stimme: »Wir haben Besuch von Scotland Yard.«
Die Feststellung sorgte für eine leichte Unruhe bei den Zuhörern, aber es gab auch so etwas wie eine gewisse Erleichterung, dass wir auf der Seite des Gesetzes standen.
Ich erhielt den Ausweis zurück, und Graham Hill suchte nach den richtigen Worten. Bevor er etwas sagen konnte, bat ich ihn um die Aufklärung dessen, weshalb sie hier auf dem Friedhof standen und sich so ungewöhnlich verhielten.
Der Mann schaute mir in die Augen, bevor er nickte und seine Leute bat, die Sicht freizugeben.
Die Männer und wenigen Frauen traten zur Seite, sodass Suko und ich freie Sicht bekamen.
Wir hatten mit einem offenen Grab gerechnet. Auch mit einer verwesten oder halb verwesten Leiche. Was wir jedoch wirklich zu sehen bekamen, das hätten wir nie im Leben gedacht. Das war auch unfassbar, selbst für uns.
Kopfüber und bis zur Hüfte steckte im Grab ein Mensch, der wie versteinert wirkte …
***
Das verschlug selbst Suko und mir den Atem, und beide mussten wir erst mal schlucken. Aber wir erholten uns schnell und waren auch gedanklich weiter als die Bewohner von Quimlin. Dieser Mensch hatte im Prinzip nichts mit dem Pfarrer zu tun, dessen Kopf nach hinten gedreht worden war. Trotzdem gingen wir davon aus, dass dieses Bild typisch für Matthias war. So etwas konnte nur ihm einfallen.
Keiner der Zuschauer sprach. Wir hörten das schwere Luftholen der Menschen, und bestimmt suchten sie nach Antworten, die so leicht nicht zu geben waren.
»Das war er!«, flüsterte Suko mir zu, ohne einen Namen zu nennen.
»Sicher.« Ich sah, dass die Menschen uns anschauten. Sie gierten nach einer Erklärung, aber die hatte ich auch nicht, und den Namen Matthias wollte ich nicht erwähnen.
»Wir wollen es mal dahingestellt sein lassen, wie dies hier passieren konnte«, sagte ich. »Ich habe zunächst eine andere Frage. Kennen Sie den Mann hier?«
Graham Hill gab die Antwort. »Nur vom Ansehen. Wir haben das Auto dort unten gesehen. Diesen alten Ford. Und mit diesem Wagen ist ein Mensch namens Tom Dury gekommen, der hier im Ort herumgeschnüffelt hat und seine Fragen fast jedem Einwohner stellte.«
»Worum ging es dabei?«
»Der Mann wollte mehr über Father Gregor wissen und dessen Tod.«
»Konnten Sie ihm was sagen?«
»Nein, konnten wir nicht. Wir sind ja selbst überfragt. Wir haben Angst. Dieser Ort ist nicht mehr sicher. Die Angst ist groß, und das nicht grundlos, wie Sie sehen können.«
»Das stimmt.« Ich deutete auf die aufragenden Beine des Mannes. »Ich denke, dass wir ihn nicht dort stecken lassen sollten. Außerdem brauchen wir Sicherheit, dass er tatsächlich derjenige ist, für den Sie ihn halten.« Da ich nicht glaubte, dass mir die Bewohner behilflich sein würden, nickte ich Suko zu.
»Packen wir’s«, sagte er.
Das taten wir im wahrsten Sinne des Wortes. Die Beine waren eingeknickt und leicht ausgebreitet. Der Oberkörper steckte so tief im Boden, dass die Haltung sich nicht veränderte.
Erst als wir anpackten, tat sich etwas. Wir hatten die Beine zusammengelegt und jeder hielt eines fest. Die Totenstarre hatte schon eingesetzt.
Auf ein kurzes Kommando hin zogen wir an dem Toten.
Man hatte ihn wirklich tief in die Erde gerammt, und wir hatten Mühe, ihn überhaupt zu bewegen. Erst nach mehrmaligem Rucken erzielten wir einen
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