172 - Der Sturm
versteckt hielten.
Rulfan befahl Chira flüsternd, zurück zu bleiben. Er hoffte, dass sie gehorchen würde. Sacht zog er das Schwert, hob es wie einen Speer über den Kopf und holte aus. Rulfan zielte genau. Dann schleuderte er die Waffe.
Chira bellte, als der getroffene Wels aus den Wellen peitschte. Rulfan und Geero stürmten los, warfen sich über ihn, versuchten ihn zu packen. Es war schwierig bei der glatten Fischhaut und nicht ungefährlich, denn die scharfe Schwertklinge in seinem Rücken fuhr durch schäumendes Wasser. Man sah sie kaum.
Am Ende gelang es den beiden, ihren Fang zu töten und an Land zu ziehen. Tanaya machte sich an die schwierige Aufgabe, im regennassen Wald ein Lagerfeuer zu entfachen. Es wollte nicht klappen, und sie ratterte ein Stakkato ittalyanischer Flüche herunter.
Rulfan und Geero grinsten.
Chira hatte aufgehört zu bellen, stand jedoch noch immer am Ufer. Das junge Lupaweibchen war unruhig, blickte übers Wasser. Es knurrte dumpf.
Rulfan hockte vor dem Wels und schnitt Stücke heraus. »Hast du auch das Gefühl, beobachtet zu werden?«, fragte er Geero leise.
»Ja.« Der Doyzländer trennte die Rückenflosse ab. »Ich habe auch schon gelauscht. Aber da ist niemand.«
»Doch!«, sagte Tanaya plötzlich. Die Gefährten hoben überrascht den Kopf, folgten ihrem Fingerzeig, und tatsächlich: Kaum auszumachen im Pflanzengewirr, stand auf der anderen Flussseite ein Mann: bullig, untersetzt und extrem behaart. Er maß etwa einen Meter siebzig, und er hielt eine Keule in der Hand.
»Keinen Fehler jetzt!« Geero ließ das Messer los und tastete nach der Axt. »Das ist der Kerl, der Sha'mii getötet hat! Verscheucht ihn bloß nicht – ich will ihn haben!«
Rulfan richtete sich auf, langsam und ohne den Fremden aus den Augen zu lassen. Sein Schwert kratzte über den Boden.
»Rulfan!«, sagte Tanaya leise.
Er sieht merkwürdig aus, dachte der Albino. Einen Mann wie ihn habe ich noch nie gesehen.
»Rulfan!«
Wie kommen wir an ihn heran? Der Fluss ist flach, aber mindestens fünf Speerlängen breit – bis wir drüben sind, ist er längst geflohen. Rulfan zögerte. Es sei denn, da lauern noch mehr von seiner Sorte!
»Rulfan!«
Diesmal hörte er Tanaya und wandte sich ihr zu.
»Hinter dir!«, flüsterte sie. »Über dir!«
Rulfan zog das Schwert, während er herumfuhr. Er war zum Töten bereit – doch da stand nur ein Baum.
Rulfans Blick wanderte an ihm hoch, fand ein Ziel, wurde ungläubig: Oben im Baum saß eine Frau, ebenso behaart wie der Fremde drüben! Sie lehnte am Stamm, hatte ihre Beine auf dem Ast ausgestreckt und stillte ein Baby. Rulfan bemerkte, dass ihre Füße wie schwarze Hände aussahen. Er runzelte die Stirn. Ich weiß nicht, dachte er zweifelnd. Ist das wirklich ein Mensch?
Im nächsten Moment war Geero heran. Er brüllte:
»Stirb, du Scheißkerl!« und holte aus.
»Nein!« Rulfan versuchte noch, Geero in den Arm zu fallen, doch es war zu spät. Die Axt sirrte nach oben, Zweige brachen, ein großer Körper floh – und ein kleiner stürzte hinunter. Er landete in den Uferwellen. Das Baby plärrte mit dünner Stimme, strampelte um sein Leben.
Doch der Fluss war stärker. Es trieb davon.
Rulfan spurtete los.
»Lass das Ding doch ersaufen!«, rief ihm Geero hinterher und machte sich auf die Suche nach seiner Axt.
Auch Tanaya rührte sich nicht vom Fleck. Nur Chira folgte ihrem Herrn, der verbissen die seichte Brandung entlang lief – über Mangrovenwurzeln, an Felsbrocken vorbei und durch aufschäumende Wasserlöcher. Er bekam das Baby zu fassen und zog es hoch. Nasse Ärmchen schlangen sich um seinen Hals. Rulfan spürte ein pochendes kleines Herz an seiner Haut.
»Es ist gut«, sagte er. »Du bist in Sicherheit.«
Als Rulfan zu den Gefährten zurückkehrte, hallte bereits erregtes Geschrei durch den Wald. Es kam von verschiedenen Seiten – immer im Wechsel, wie ein springender Ball. Da war Bewegung in den Baumkronen; hier und da huschten Schatten durchs Gesträuch. Das Wesen am anderen Ufer sprang kreischend und mit Drohgebärden auf und ab.
Rulfan wandte sich an Tanaya und Geero. »Hört ihr das? Sie sprechen sich ab! Da ist ein ganzer Clan unterwegs.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Tanaya beunruhigt.
Rulfan lächelte freudlos. »Wir verschwinden! Packt von dem Fisch ein, was ihr tragen könnt, und bleibt dicht an meiner Seite. Wir folgen dem Fluss.«
»Warum?« Geero sah sich wachsam um, die Axt zum Schlag bereit.
»Wir müssen aus dem
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